Selektion durchs Jagdgewehr: Vögel mit größerem Gehirn haben bessere Überlebenschancen

In den Vogelpopulationen einer Region besteht für die Tiere mit dem kleinsten Gehirn ein bis zu 30-mal größeres Risiko, von Jägern geschossen zu werden
Nicht nur in Dänemark gehen Menschen mit der Flinte auf Vogeljagd.
Nicht nur in Dänemark gehen Menschen mit der Flinte auf Vogeljagd.
© Le Woltaire / Wikimedia, public domain
Orsay (Frankreich)/Christiansfeld (Dänemark) - Eine länger andauernde Bedrohung von Vögeln durch die Jagd könnte zu einer besonderen Form der Selektion führen: Die Tiere, die mit der Zeit lernen, die Gefahr durch einen Jäger rechtzeitig zu erkennen, haben einen Überlebensvorteil. Dieser beruht in einer derart bedrohten Population verschiedener Vogelarten möglicherweise auf der besseren Leistung eines größeren Gehirns, berichtet ein französisch-dänisches Forscherteam im Fachblatt „Biology Letters“. Die untersuchten Vögel, die durch einen Flintenschuss starben, hatten im Schnitt eine kleinere Hirnmasse als Vögel mit anderer Todesursache.

„Wir stellten die Hypothese auf, dass die von Jägern getöteten Vögel im Vergleich zu den anderen schlechter zwischen gefährlichen und harmlosen Menschen unterscheiden konnten“, schreiben Anders Møller von der Université Paris-Sud und Johannes Erritzøe vom House of Bird Research in Christiansfeld. Diese unterschiedliche Hirnleistung könnte auf die jeweilige Größe des Gehirns zurückzuführen sein. Um diese Annahme zu prüfen, sammelten die Biologen entsprechende Daten, indem sie mit Tierpräparatoren in der Umgebung der dänischen Stadt Christiansfeld zusammenarbeiteten. Für die dort zwischen 1960 und 2015 abgegebenen Vogelkadaver ermittelten sie, ob das Tier durch den Schuss eines Jägers oder auf andere Weise ums Leben kam. Außerdem wurden die entnommenen Gehirne gewogen, sowie Körpergewicht, Geschlecht, Alter und körperlicher Zustand bestimmt.

Von den insgesamt 3781 untersuchten Vögeln waren 299 durch einen Gewehrschuss zu Tode gekommen. Die durchschnittliche Gehirnmasse sämtlicher Exemplare betrug 3 Gramm, das durchschnittliche Körpergewicht lag bei 261 Gramm, wobei sich in beiden Fällen die einzelnen Messwerte über einen sehr großen Bereich erstreckten. Im Schnitt hatten die nicht geschossenen Vögel ein um 5,5 Prozent größeres Gehirn als die anderen. Die Vögel mit dem kleinsten Gehirn hatten ein etwa 30-fach größeres Risiko erschossen zu werden als diejenigen mit der größten Hirnmasse. Ein solcher Zusammenhang blieb auch dann bestehen, wenn sich die Auswertung auf die Vogelarten beschränkte, die gezielt gejagt wurden. Die statistische Beziehung war zudem unabhängig von den übrigen erfassten Einflussfaktoren. So wurde berücksichtigt, dass größere Vögel und männliche Exemplare mit höherer Wahrscheinlichkeit einem Schuss erlagen als kleinere und weibliche Tiere. Große Vögel bieten ein leichter zu treffendes Ziel und benötigen mehr Zeit, um bei Gefahr vom Boden abzuheben und davonzufliegen. Das Alter der Tiere hatte keinen Einfluss auf die Todesart.

Theoretisch könnte demnach ein anhaltender Selektionsdruck in Form von Jagd dazu führen, dass die Hirnmassen der Vögel einer Population über einen längeren Zeitraum immer weiter zunehmen. Doch ob das tatsächlich geschieht, hinge davon ab, wie groß der Anteil der durch Jagd getöteten Tiere an den Todesursachen der Vögel insgesamt ist, so die Autoren. Im vorliegenden Fall sei dieser Anteil so gering, dass eine solche Entwicklung nicht zu erwarten ist.

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