Seele in der Stele

Kürzlich in der Türkei entdeckte Stele mit aufschlussreicher Inschrift zeigt: Im mittleren Osten glaubte man vor fast 3000 Jahren offenbar, dass die Seele nach dem Tod in bestimmten Gedenksteinen weiterlebte
Chicago (USA) - Im Südosten der Türkei haben Archäologen einen Pfeiler mit einer gemeißelten Inschrift und einer Abbildung eines Mannes aus dem achten Jahrhundert vor Christus gefunden. Diese so genannte Stele ist in fast unversehrtem Zustand, und ihre Inschrift gibt wichtige Aufschlüsse über die Vorstellungen über das Leben nach dem Tod, die die Menschen um 800 vor Christus im heutigen Zincirli (Türkei) hegten. Darüber hinaus, so werden die Archäologen ab dem 22. November auf einer Tagung für Biblische Archäologie und Archäologie des Mittleren Ostens in Boston darlegen, gibt die Inschrift auch Hinweise auf Sprach- und Kulturentwicklungen in dieser Region.

Der Mann, der auf der Stele abgebildet ist, wurde eingeäschert, vermutet das Archäologenteam um David Schloen von der University of Chicago. Das ist umso erstaunlicher, als vielen Kulturen damals diese Praxis nicht sehr behagte. Denn man ging von einer Verbindung von Seele und Körper auch nach dem Tode aus. Bei der Verbrennung einer Leiche wäre dann auch die Seele des Toten mit verbrannt.

Der Mann in der steinernen Abbildung war ein hoher Bediensteter des Panamuwa, des Königs von Ja'di. Das war ein Staat im heutigen Nordsyrien. In der Inschrift beschrieb der Bedienstete sich selbst: "Ich, Kuttamuwa, Diener des Panamuwa, war derjenige, der die Errichtung der Stele, die für mich bestimmt war, zu Lebzeiten überwachte. Ich ließ sie in einer ewigen Kammer aufstellen und richtete ein Fest in dieser Kammer aus: einen Bullen für [den Sturmgott] Hadad, ... einen Schafbock [für den Sonnengott] Shamash und einen Schafbock für meine Seele, die in dieser Stele ist..." Tatsächlich fanden die Archäologen die etwa 90 Zentimeter hohe, 60 Zentimeter breite und rund 360 Kilogramm schwere Stele aus Basalt letzten Sommer in einem kleinen Raum, der in einen Totenschrein für den königlichen Bediensteten Kuttamuwa umgewandelt worden war. Der Raum wiederum befand sich im äußeren Bereich der von einer Mauer umgebenen alten Stadt Sam'al, deren Überreste sich unter dem heutigen Zincirli befinden. Vermutlich gehörte der Raum sogar zu Kuttamuwas privatem Wohnsitz.

Die für diese Region ungewöhnliche Vorstellung eines Weiterlebens der Seele in einer Stele geht vermutlich auch auf die Vermischung mehrerer Kulturen zurück. "Die Stele gibt ein lebendiges Zeugnis davon, dass Sam'al, in der Grenzregion zwischen Anatolien und Syrien gelegen, in der Eisenzeit sowohl semitische als auch indoeuropäische Traditionen geerbt hat. Kuttamuwa und sein König Panamuwa trugen nicht-semitische Namen. Dies spiegelt die Einwanderung indoeuropäischer Sprecher in dieses Region wider, die Jahrhunderte zuvor stattgefunden hatte, als dies noch das Reich der Hethiter war."

Der Text der Stele von Kuttamuwa ist in einem für die Wissenschaft faszinierenden westsemitischen Dialekt mit nicht-semitischen Einsprengseln geschrieben. Obwohl Kuttamuwa und seine Angehörigen also offenbar in einer semitisch geprägten Umgebung lebten, die die Einäscherung von Toten ablehnte, hatten er und vielleicht noch andere Menschen die Bestattungsform der Einäscherung aus dem indoeuropäischen Kulturkreis beibehalten.

University of Chicago / Eigene Recherche
Quelle: David Schloen et al., Tagung für Biblische Archäologie und Archäologie des Mittleren Ostens in Boston, ab 22. November 2008


 

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