Rotierende Kreisel weisen Weg zu neuer Materialklasse

Grundlagenexperiment könnte zu topologischen Isolatoren aus ungeordneter Materie führen
Mechanisches Modell für einen topologischen Isolator: Mit Federn verknüpfte rotierende Kreisel zeigen eine umlaufende Welle trudelnder Kreisel.
Mechanisches Modell für einen topologischen Isolator: Mit Federn verknüpfte rotierende Kreisel zeigen eine umlaufende Welle trudelnder Kreisel.
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Chicago (USA) - Die noch junge Materialklasse der topologischen Isolatoren vereint scheinbar widersprüchliche Eigenschaften. So können diese Materalien elektrischen Strom an ihrer Oberfläche gut leiten, verhalten sich im Innern aber wie ein Isolator. Bisher bestehen diese topologischen Isolatoren aus streng geordneten, kristallinen Schichten. Doch auch ungeordnete, amorphe Materialien sollen prinzipiell topologische Isolatoren bilden können. In der Fachzeitschrift „Nature Physics“ berichten amerikanische Forscher über komplexe Simulationen und Experimente mit miteinander verknüpften rotierenden Kreiseln. Trotz einer Anordnung zu einem willkürlichen, ungeordneten System zeigten diese Kreisel ein überraschendes Verhalten, dass die Möglichkeit neuartiger topologischer Isolatoren ohne einen geordneten inneren Aufbau nahelegt.

„Mit Federn verknüpfte Kreisel bieten eine ideale Plattform, um die Physik von topologischen Metamaterialien zu untersuchen“, sagt Noah Mitchell von der University of Chicago. Mit diesem mechanischen System konnte er gemeinsam mit seinen Kollegen das Wechselspiel von Atomen und Elektronen in einem topologischen Isolator simulieren. So stabilisierten sich die rotierenden Kreisel – angetrieben mit kleinen Elektromotoren – an jeweils festen Positionen. Ein Verhalten, dass dem eines elektrischen Isolators ohne Fähigkeit zur Stromleitung entsprach. Doch eine kleine Störung des Systems reichte aus, damit die am Rand angeordneten Kreisel ins Trudeln gerieten und mehr Raum für sich beanspruchten. Dieses Trudeln setzte sich völlig selbstständig in Form einer Welle fort – vergleichbar mit der La Ola-Welle in einem Fußballstadion. Diese Wellenbewegung breitete sich über die Randkreisel im Uhrzeigersinn aus. Ein Verhalten, dass analog in einem topologischen Isolator der Leitfähigkeit für elektrischen Strom an seiner Oberfläche entsprach.

Erst nahmen Mitchell und Kollegen an, dass dieses verblüffende, kollektive Verhalten nur mit einer streng symmetrischen Anordnung der Kreisel, vergleichbar mit den Atomen in einem Kristallgitter, möglich sei. Doch darauf änderten sich sowohl in ihren Simulationen als auch im Experiment die Positionen der mit Federn verknüpften Kreisel, die sich nun an völlig willkürlich gewählten Plätzen ohne jede Ordnung wie in einem amorphen Festkörper ohne starre Kristallstruktur befanden. Zur Überraschung der Forscher bildete sich wieder eine umlaufende Welle trudelnder Kreisel aus. „So konnten wir zeigen, dass die topologischen Eigenschaften auch in komplett amorphen Strukturen auftreten können“, sagt Mitchell.

Dieses Modell beruhte auf einer mechanischen Kopplung von Kreiseln. „Aber die Erkenntnisse sind allgemein gültig und können beispielsweise auf elektronische und photonische Materialien angewandt werden“, ist Mitchell überzeugt. In weiteren Versuchen will er ein analoges Verhalten auch in elektronischen und photonischen Metamaterialien untersuchen. Dieser Ansatz könnte den Weg zur Fertigung topologischer Isolatoren aus ungeordneten, amorphen Materialien ebnen. Diese ließen sich dann vielleicht sogar über einen Prozess der Selbstorganisation günstig in großer Menge produzieren.

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