Raketensterne

Bei großräumiger Kartierung des Sternenhimmels finden Astronomen zwanzig hyperschnelle Sterne, die nicht in die bekannten Kategorien passen
In dieser Draufsicht auf die Milchstraße zeigen die farbigen Pfeile die Flugrichtung einiger extrem schneller Sterne an. Sie sind schnell genug, um aus unserer Galaxie heraus zu fliegen.
In dieser Draufsicht auf die Milchstraße zeigen die farbigen Pfeile die Flugrichtung einiger extrem schneller Sterne an. Sie sind schnell genug, um aus unserer Galaxie heraus zu fliegen.
© NASA / Julie Turner
Nashville (USA) - Auch unter Sternen gibt es Ausreißer: Während unsere Sonne ihre ruhige, runde Bahn um das Zentrum der Milchstraße zieht – so wie zig Milliarden andere Sternensysteme auch –, gibt es einige wenige Himmelskörper, die mit enormen Geschwindigkeiten durch unsere Galaxie rasen. Bislang waren 18 solcher „Hyperschnellläufer“ bekannt. Jetzt hat ein internationales Team von Astronomen bei einer groß angelegten Durchmusterung des Sternenhimmels gleich zwanzig neue rasende Sterne identifizieren können. Wie die Forscher auf der großen halbjährlichen Tagung der Amerikanischen Astronomischen Gesellschaft berichteten, gehören die neu entdeckten Schnellläufer aber einer völlig anderen Sternenklasse an und kommen aus unterschiedlichen Richtungen. Eine so ungewöhnliche Herkunft war erst von einem einzigen anderen Schnellläufer bekannt. Noch können die Forscher über den Ursprung der rasenden Sterne allerdings nur spekulieren, schreiben sie im „Astrophysical Journal“.

„Die neuen Hyperschnellläufer unterscheiden sich stark von den vorher entdeckten“, sagt Lauren Palladino, die noch an der Vanderbild Universität in Nashville studiert und als Erstautorin an der Studie mitgewirkt hat. Die bislang bekannten Hyperschnellläufer gehören alle zu einer bestimmten Klasse von Riesensternen und stammen aus dem Zentrum unserer Galaxie. Diese Himmelskörper leuchten blau und sind schwer, heiß und kurzlebig. Astronomen vermuten, das Supermassive Schwarze Loch im Herzen der Milchstraße habe sie auf Touren gebracht. Denn mit seinen über vier Millionen Sonnenmassen hat es die Kraft, nahe vorbeifliegende Sterne extrem zu beschleunigen. Wenn etwa zwei Sterne eines Doppelsternsystems in die Nähe des Schwarzen Loches geraten, kann es passieren, dass der eine vom Schwarzen Loch angesogen wird, während der andere enormen Schwung erhält und aus dem Zentrum der Milchstraße herausgeschleudert wird.

Die zwanzig neuen rasenden Sterne sind jedoch deutlich kleiner als die schnellen blauen Riesensterne. Sie kommen auch nicht aus Richtung des Milchstraßenzentrums, sondern haben ganz unterschiedliche Bahnen. Diese Sterne entsprechen von der Größe her unserer Sonne, können jedoch bis zu mehrere Millionen Kilometer pro Stunde schnell sein. Damit sind sie rasant genug, um die Milchstraße verlassen zu können. Zum Vergleich für diese extremen Geschwindigkeiten: Eine Gewehrkugel fliegt mit etwa 1.000 Kilometer pro Stunde. Das schnellste bemannte Raketenflugzeug, der amerikanische Experimentaljet X-15, kam auf über 7.000 Kilometer pro Stunde, die Mondrakete Saturn-5 auf 40.000, die Internationale Raumstation ist mit 27.000 Kilometern pro Stunde unterwegs. Das derzeit schnellste menschengemachte Objekt ist die Raumsonde Juno (Jupiter Polar Orbiter). Sie befindet sich mit gut 100.000 Kilometern pro Stunde auf dem Weg zum Jupiter, nachdem sie beim Vorbeiflug an der Erde Schwung geholt hat – ähnlich wie die blauen Schnellläufer am Schwarzen Loch. Mit einer vergleichbaren Geschwindigkeit bewegt sich unsere Erde um die Sonne, während sich unser Sonnensystem noch achtfach schneller um die Milchstraße dreht.

Als Ursache für die hohen Geschwindigkeiten der Sterne kommen nach Ansicht der Forscher verschiedene Mechanismen in Betracht. So könnte bei einer Supernova-Explosion in einem engen Doppelsternsystem der überlebende Stern herauskatapultiert werden. Oder kleinere Schwarze Löcher, von denen sich viele in der galaktischen Scheibe befinden, könnten ähnliche Effekte bewirken wie das riesige im Zentrum der Milchstraße. Einige Astronomen haben auch den Verdacht geäußert, diese Sterne kämen vielleicht gar nicht aus der Milchstraße, sondern von außerhalb. Die bisherigen Analysen weisen aber darauf hin, dass die rasenden Sterne sich in ihrer Zusammensetzung nicht von gewöhnlichen Sternen der galaktischen Scheibe unterscheiden. Noch sind die Daten jedoch nicht endgültig. Die nun erfolgte Kartierung des Sternenhimmels – mit Namen Sloan Digital Sky Survey – läuft schon seit einigen Jahren. „Um die Geschwindigkeit eines Sterns genau zu bestimmen, muss man seine Position aber über Jahrzehnte messen“, so Palladino. Deshalb könnten einige der rasenden Sterne sich auch als Messfehler herausstellen. Doch auch wenn weitere Messungen nötig sind: Die meisten dürften wirklich Raketensterne sein. Und keiner scheint Kurs auf die Erde zu nehmen.

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