Rätselhafter Kult um Krokodilsgottheit im alten Ägypten
Das Allerheiligste des Tempels Dime war ein Raum, in dem sich ein Schrein mit einer etwa 50 Zentimeter großen Statue befand, die von den Priestern täglich aufs Neue zu versorgen war. Die Priester verbrannten hierzu Weihrauch, salbten die Statue, versahen sie mit neuer Kleidung und reichten ihr Opfergaben. Wie das Ritual ablief, ist auf erhaltenen Papyri in demotischer Schrift überliefert. "Das Demotische war eine Schreibschrift für den täglichen Gebrauch. Sie ist über Umwege aus dem Hieroglyphischen entstanden, circa ab 650 vor Christus", erklärt Martin Stadler von der Universität Würzburg, der das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanzierte Projekt leitet. Die Entzifferung des Demotischen, in dem die Tempeltexte geschrieben sind, ist selbst für den Experten eine Herausforderung: "Die demotische Schrift ist hier wahnsinnig schwierig, weil sie vom normalen Demotischen abweicht. Das ist bei religiösen Texten häufig der Fall und ganz besonders noch einmal bei den Papyri aus Dime", so Stadler. Denn die Schreiber dieses Ortes hatten sich einige Eigenheiten angewöhnt. Dazu kommt, dass die erhaltenen Papyri zum Teil stark zerlöchert sind.
Ein weiterer Teil der Arbeit ist die Entzifferung jener demotischen Texte aus Dime, die mit der Wirtschaft des Tempels zusammenhängen. Ähnlich wie Klöster im Mittelalter war auch der ägyptische Tempel Dime ein Wirtschaftsunternehmen - mit Verwaltung und Buchhaltung, mit Ländereien, Viehherden und Wollproduktionsstätten. In der römischen Zeit von 300 vor bis 250 nach Christus wurde der Tempel auch besteuert. "Dime war in der höchsten der damals drei Steuerklassen", erklärt Stadler, "daher wissen wir, dass er florierte und von großer Bedeutung war." Über die wirtschaftliche Tätigkeit des Tempels von Dime gebe es in Berlin und Wien meterlange Texte, die alle noch unerforscht seien, so der Forscher. Rund 1300 Listen aus der Tempelbuchhaltung, die allesamt sehr gut datiert seien, harrten der wissenschaftlichen Bearbeitung. "Nach ihrer Auswertung können wir die Wirtschaftsgeschichte von Dime schreiben", sagt Stadler. Auch das soll in seinem Projekt angegangen werden.
So schwierig die Texte auch zu entziffern sind - der Würzburger Forscher konnte durch seine Entzifferungsarbeit auch schon den Kollegen aus der Archäologie wertvolle Hinweise geben. Ein italienisches Archäologen-Team gräbt bei der Tempelstätte. Bis 2002 gingen die Forscher davon aus, dass der Tempel von Dime drei hintereinander liegende Tore hat - bis sie dann einen Anbau freilegten. Stadler bekam durch Zufall eine Zeichnung vom Grundriss des Tempels zu Gesicht, den die italienische Archäologin Paola Davoli angefertigt hatte. Aus dem demotischen Text wusste Stadler, dass der Priester beim Eintreten in den Tempel von Dime fünf Tore zu passieren hatte. Deren Lage erkannte er auf dem Grundriss. Und so konnte er voraussagen, dass hinter dem soeben entdeckten Anbau die große Säulenhalle folgen müsste. Die Italiener fanden Stadlers Theorie im weiteren Verlauf der Grabungen bestätigt.