Optimiert: Thermo-Strom aus heißen Abgasen
Das Prinzip der thermoelektrischen Stromerzeugung ist relativ einfach: Wird ein geeignetes Material an einer Seite aufgeheizt, während die andere Seite kühl bleibt, können wandernde Elektronen diese Temperaturdifferenz ausgleichen. Die Folge: Es fließt ein elektrischer Strom, verursacht durch den sogenannten Seebeck-Effekt. Je schlechter der Wärmetransport über andere Wege – etwa durch Schwingungen im Kristallgitter – abläuft, desto eher begeben sich Elektronen auf diese stromerzeugende Wanderschaft. Dieses Wissen im Hinterkopf, wählte die Arbeitsgruppe um Mercouri Kanatzidis von der Northwestern University in Evanston den schlechtesten bekannten Wärmeleiter überhaupt: Kristalle aus Zinnselenid.
Ihre Messungen im Labor bestätigten die Wahl: An einem Ende auf 550 Grad Celsius aufgeheizt gingen mehr Elektronen auf Wanderschaft als jemals zuvor in einem thermoelektrischen Material aus gezüchteten Kristallen. Um diese Eigenschaft mit konkreten Zahlen greifen zu können, nutzen Physiker den sogenannten ZT-Wert. Nanostrukturierte Kristalle aus Bleitellurid, die Kanatzidis mit viel Aufwand vor etwa zwei Jahren züchten konnte, erreichten schon einen hohen ZT-Wert von 2,2. Diesen übertrumpfte Zinnselenid nun mit ZT = 2,6 deutlich. Mit solch hohen ZT-Werten könnten bis zu 20 Prozent der in der Abwärme verfügbaren Energie in elektrischen Strom umgewandelt werden, erklärt der Forscher: „Die notwendige Hitze findet man etwa in den Abgasrohren von Kohle- und Gaskraftwerken, in Raffinerien oder im Autoauspuff.“
Den Grund für den überraschend hohen ZT-Wert sieht Kanatzidis in der besonderen Schichtstruktur der Zinnselenid-Kristalle. Diese verhindert, dass sich Schwingungen in aufgeheizten Kristallen gut ausbreiten können. Um trotzdem eine vorherrschende Temperaturdifferenz zwischen den beiden Seiten eines Kristalls ausgleichen zu können, bleibt so fast nur der Weg über die wandernden Elektronen.
Trotz dieses neuen Rekords für die Effizienz thermoelektrischer Materialien wird es bis zu einem ersten Thermo-Kraftwerk aus Zinnselenid allerdings noch etwas dauern. Denn der hohe ZT-Wert trat nur entlang einer Raumachse innerhalb des Kristalls auf. Wurde der Kristall um 90 Grad gedreht, sank der ZT-Wert deutlich auf nur noch 0,8 ab.
Doch dieses Problem hält Kanatzidis für durchaus lösbar. „Man muss einzelne Kristallschichten auf größere Kristalle aus Zinntellurid wachsen lassen“, sagt der Thermoelektrik-Experte. Für andere thermoelektrische Materialien etwa aus Bleitellurid sei das auch schon geglückt. Gelingt dieser Schritt auch für Zinnselenid, könnte schon bald mit einem ersten thermoelektrischen Minikraftwerk für weitere Effizienzversuche gerechnet werden. So ist es nicht mehr völlig unwahrscheinlich, dass in einigen Jahren erste Autos mit Verbrennungsmotoren mit diesen neuartigen und wartungsfreien Stromgeneratoren ausgestattet sein könnten.