Ohrenbetäubend: Schmelzendes Gletschereis unter Wasser

Geräuschkulisse liefert Geophysikern Hinweise zur Abschmelz-Rate von Polareis
Der Großteil von Eisbergen liegt unter der Oberfläche und somit im direkten Kontakt zum Wasser.
Der Großteil von Eisbergen liegt unter der Oberfläche und somit im direkten Kontakt zum Wasser.
© Andrea Lammert
Fairbanks (USA)/San Francisco (USA) - Knistern, Knacken, Ploppen, Knallen: Es ist lärmig in der Nähe schwimmender Eisberge. Diese Geräuschkulisse gehört, etwa in engen arktischen Fjorden, zu den lautesten der Natur. Sie könnte konkrete Hinweise zum Klimawandel liefern, berichten US-Forscher. Sie stellten jetzt fest, dass der Krach vom Platzen winziger Luftbläschen stammt, die beim Schmelzen des Polareises wieder frei werden. Eine permanente Messung des Lärms mit Unterwassermikrofonen dürfte Veränderungen der Gletscherschmelze aufzeigen und damit Hinweise auf den Verlauf des Klimawandels liefern, berichten die Forscher Anfang Dezember beim 166. Treffen der Acoustical Society of America (ASA) in San Francisco.

Der Krach stammt vom Zittern und Schwingen der einst zusammengepressten Bläschen, wenn sie sich aus dem Eis lösen und im Wasser aufsteigen, berichtet die Geophysikerin Erin Pettit von der University of Alaska. Sie hatte die Geräusche oft wahrgenommen, wenn sie per Kajak in den kalten arktischen Gewässern unterwegs war. Unter Wasser sei das Knacken und Ploppen allerdings wesentlich lauter – wie bei einem heftigen Wolkenbruch, dessen Tropfen hart auf der Wasseroberfläche aufschlagen. Und der Lärmpegel herrsche in der Nähe schmelzenden Gletschereises permanent, so die Forscherin. Sie hatte vor Alaskas Küste – im Unakwik Inlet und der Icy Bay – schließlich Mikrofone ins Wasser gehängt.

Diese Hydrofone registrierten die auch für Menschen hörbaren Geräusche, im Bereich zwischen ein und drei Kilohertz. Pettit vermutete die Ursache bei den freiwerdenden Bläschen, konnte ihre Hypothese aber erst mit Hilfe texanischer Kollegen bestätigen. Sie sandte arktische Gletschereisbrocken an die Akustiker Preston Wilson und Kevin Lee von der University of Texas. Diese ließen das Eis in einem großen Wasserbecken schmelzen und konnten per Video- und Audio-Aufnahmen nachweisen, dass die Töne zeitlich und räumlich mit den oszillierenden Luftbläschen einhergingen. Dies zeigte nicht nur, dass die Geräuschkulisse jener in Alaska entsprach. Es belegte auch, so dass Team, dass passive Akustik – das Aufstellen von Hydrofonen – das Abschmelzen von Gletschereis im Meer überwachen kann.

„Jede Blase, die sich aus einer Düse oder andern Öffnung löst, wird natürlicherweise mit einer Frequenz oszillieren, die umgekehrt proportional dem Radius der Blase entspricht“, so Lee. Je kleiner das Bläschen, desto höher der Ton. Wegen ihres hohen Innendrucks könnten sie beim Herauslösen aus dem Eis sogar förmlich ins Wasser hineinspritzen. Das Geräuschpektrum im Wasser unterhalb eines Gletschers, vom Kalben bis zur Eisschmelze, ist enorm breit und reicht auch jenseits des menschlichen Ohres: vom Infraschallbereich unterhalb 10 Hertz bis zu hohen Frequenzen von mehr als 10 Kilohertz. Pettit und Lee halten es für vorstellbar, zumindest die hörbaren Töne konstant zu aufzuzeichnen, um damit andere Messungen zum Gletschereis – Fotografien und Salzmessung – zu ergänzen und zu untermauern. So ließen sich jahreszeitliche Schwankungen und Veränderungen der Gletscherschmelze bei einzelnen Wetterphänomenen wie Stürmen feststellen, aber auch Langzeittrends. Die Hydrofone könnten in sicherer Entfernung zur Abbruchkante eines Eisfelds hängen, da Töne unter Wasser weit tragen.

Wie die Luftbläschen ins Gletschereis gelangen, ist altbekannt: Schneekristalle schließen winzige Luftmengen ein, die dann langsam unter dem Gewicht einer weiter wachsenden Schneedecke zusammengepresst werden, die schließlich zu Eis wird. Da dies sehr einheitlich geschieht, sind die Luftbläschen auch sehr gleichmäßig in der gefrorenen Masse verteilt, schreiben die Forscher: „Das ist ein wichtiger Faktor, wenn man von der Geräusch-Intensität der sich lösenden Blasen auf die Schmelzrate des Eises schließen will.“

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