Ohne Grenzen: Gleiche Musik im Ohr, gleiche Farben im Sinn

Menschen unterschiedlicher Kulturkreise assoziieren unbewusst die selben Farbspektren mit unterschiedlicher Musik – das gilt auch für Nicht-Synästhesisten
Berkeley (USA ) - Manche Menschen können Töne schmecken, Düfte hören oder sehen Zahlen in Farbe vor ihrem geistigen Auge. Doch diese sogenannter Synästhesisten, rund vier Prozent der Bevölkerung, sind offenbar nur die Spitze des Eisbergs – auch die anderen Menschen erzeugen wohl automatisch verknüpfte Sinneseindrücke im Gehirn, wie jetzt Forscher in den USA und Mexiko feststellten: Sie erleben das Phänomen nur weniger intensiv. Im Test mit Musikstücken, Farben und Gesichtsausdrücken stellte das Team zudem fest, dass diese Verknüpfung offenbar unabhängig von der Kultur entsteht. Bei US-Bürgern ergaben sich sehr ähnliche Testergebnisse wie bei Mexikanern – schnelle Musikstücke in Dur ordneten sie hellen Gelb- und Orangetönen zu, während sie langsame, traurige Mollstücke eher mit graublauen Farben in Verbindung brachten. Diese Assoziationen dürften sich auch in anderen Weltregionen bestätigen, schreiben die Forscher in den „Proceedings of the National Academy of Sciences“ (PNAS). Sie sehen einen möglichen Einsatz ihrer Ergebnisse nicht nur in der Synesthäsie-Forschung, sondern auch in kreativen Therapien und in der Werbung.

„Die Ergebnisse waren erstaunlich stark und konsistent über Einzelpersonen und Kulturen hinweg“, berichtet Stephen Palmer, Psychologe an der University of California, Berkeley. Sein Team und Lilia Prado-Léon von der University of Guadalajara hatten insgesamt rund hundert Probanden zu ihren drei Tests gebeten – die Hälfte in der Region San Francisco, die andere im mexikanischen Guadelajara. Zunächst bekamen die Menschen 18 klassische Musikstücke von Mozart, Bach und Brahms zu hören, von langsamen getragenen Orchesterwerken bis hin zu schnellen beschwingten, solche in hartem Dur ebenso wie in weicherem Moll. Danach sollten sie den Stücken fünf aus 37 Farben einer Palette zuordnen, die ihrem Gefühl nach am besten zur Musik passten. Farbtöne von Rot, Orange, Gelb, Grün, Blau und Violett waren jeweils in frischen hellen als auch in gedeckten dunklen Varianten vertreten.

Wie es sich in kleineren Studien schon angedeutet hatte, wählten die Probanden tatsächlich für die hellen, schnellen, fröhlich klingenden Orchesterstücke wie Mozarts Flötenkonzert No.1 in G-Dur die leuchtenderen Farben, während sie langsame, melancholisch oder traurig klingende Musik wie Mozarts Requiem in D-Moll mit ebenso wirkenden Farben assoziierten. Dabei spielte es keine Rolle, aus welchem Kulturkreis die Teilnehmer stammten, so Palmer: „Überraschenderweise können wir mit 95 Prozent Genauigkeit sagen, wie fröhlich oder traurig die gewählten Farben sind, abhängig davon, wie fröhlich oder traurig die gehörte Musik ist.“

Die beiden weiteren Studie sollten untersuchen, ob die Verknüpfung der Sinneseindrücke direkt oder indirekt geschieht: Eine Hypothese dazu vermutet, dass manche Sinneskanäle parallel laufen und einander so direkt beeinflussen (direct connection hypothesis) – die andere vermutet, dass die Wirkung indirekt entsteht, weil ein Sinneseindruck Gefühle erweckt und so den zweiten beeinflusst (emotional mediation hypothesis). Palmer und Kollegen testeten deshalb, ob Bilder mit Gesichtsausdrücken – von glückstrahlend bis traurig oder zornig – mit Farben assoziiert werden. Tatsächlich entschieden sich die Probanden bei Freude meist für Gelbtöne, bei Wut für dunkles Rot und bei Traurigkeit für dunkles Grün und Blau. Im dritten Test schließlich wurden Gesichtsausdrücke mit Musik kombiniert. Und auch hier bestätigte sich die Vermutung: rasche Dur-Töne stehen für fröhliche Gesichter, schleppende Moll-Stücke für schlechte Stimmung.

Das untermauert die zweite Hypothese, berichtet Palmer: „Die Ergebnisse deuten klar auf die mächtige Rolle der Emotionen im menschlichen Hirn, wenn es gehörte Musik in Farbensehen umsetzt.“ Zugleich würde das auch die ähnlichen Ergebnisse aus Mexiko und den USA erklären, denn Entstehen und Wirkung von Emotionen gilt als weitgehend unabhängig von der Kultur. In punkto Musik und Farben teilen Menschen offenbar weltweit eine ähnliche emotionale Palette, so die Forscher. Um ihre Erkenntnisse auszuweiten, planen sie nun ähnliche Tests in der Türkei und in China.

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