Ohne Emotion kein Wiedererkennen

Das Gehirn von Gesichtsblinden kann neutrale Gesichtsausdrücke nicht deutlicher unterscheiden als ihre Körpermerkmale
Tilburg (Niederlande)/Boston (USA) - Für die allermeisten Menschen ist es ganz selbstverständlich, ihre Freunde, Verwandte und Kollegen in den verschiedensten Lebenslagen wiederzuerkennen: Das ist Karl-Otto, der gerade selig schlummert. Und hier ist Karl-Otto, der sich über sein Geburtstagsgeschenk freut. Und da konzentriert sich Karl-Otto auf einen Vortrag im Tagungscenter. Eine kleine Minderheit von Menschen hätte große Schwierigkeiten, in all diesen Situationen Karl-Otto wiederzuerkennen - sie leiden unter Gesichtsblindheit. Was genau ihnen Schwierigkeiten bereitet, hat jetzt ein niederländisch-amerikanisches Forscherteam untersucht. Die größte Herausforderung für Gesichtsblinde sind demnach neutrale Gesichter ohne besonderen emotionalen Ausdruck, zeigen die Wissenschaftler in der Fachzeitschrift "PLoS ONE".

Gesichter liefern eine Menge Informationen: Sie geben Hinweise auf das Geschlecht, das Alter, den gegenwärtigen Gefühlszustand und vieles mehr. Im Alltag müssen der Mensch oft schnell erkennen, wie seine Mitmenschen gestimmt ist. Manchmal aber kommt es einfach nur darauf an, zu sehen, ob eine erwartete Person anwesend ist oder gerade eintrifft. Das Forscherteam um Beatrice de Gelder von der Universiteit Tilburg hat eine Gruppe von Gesichtsblinden und eine Kontrollgruppe unbeeinträchtigter Personen verschiedene Aufgaben zur Gesichtererkennung und Gesichtererinnerung lösen lassen und die Gehirnaktivität der Probanden mit Hilfe der Magnetresonanz-Tomografie beobachtet.

Hatten die präsentierten Gesichter einen deutlichen emotionalen Ausdruck, war auch bei den Gesichtsblinden die für die Gesichtererkennung zuständige Region sehr aktiv. Doch bei Gesichtern ohne besonderen Hinweis auf ihren Gefühlszustand war die Gehirnaktivität im so genannten fusiformen Gesichtsareal deutlich geringer als bei den unbeeinträchtigten Probanden der Kontrollgruppe. Jene Gehirnregion, die für Gesichtererkennung zuständig ist, ist bei Gesichtsblinden offenbar nicht weiter spezialisiert als die allgemeine Körpererkennung, schließen de Gelder und ihre Kollegen aus diesen Beobachtungen. Erst, wenn ein Gesicht einen starken emotionalen Ausdruck zeigt, können Gesichtsblinde das Gesicht einem Individuum zuordnen.

PLoS
Quelle: "Neural Correlates of Perceiving Emotional Faces and Bodies in Developmental Propagnosia: An Event-Related fMRI-Study", J. Van den Stock, W.A.C. van de Riet, R. Righart, B. de Gelder; PLoS ONE 3(9): e3195 (2008)
doi: 10.1371/journal.pone.0003195


 

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