Neues von der Computerspiel-Front

Spiele am Rechner können wissenschaftliches Denken oder Gewalttätigkeit, chirurgisches Geschick oder Fettleibigkeit fördern - je nach Spiel
Boston (USA) - Es ist nicht alles schlecht, was Menschenkinder beim Computerspielen lernen können - doch kommt es ganz auf die Art des Spiels an, so das Fazit auf dem Kongress der American Psychological Association (APA), ob positive Fähigkeiten oder negative Einschätzungen gelernt werden. Unterschiedliche Forscherteams berichteten in Boston aus ihren Studien, wobei nicht zu leugnen ist: Lernen tut der Mensch beim Daddeln am Rechner auf jeden Fall.

"Computerspiele sind nicht 'gut' oder 'schlecht', sondern mächtige pädagogische Instrumente und haben viele Effekte, von denen wir nicht erwartet hätten, dass sie sie haben", erklärt Douglas Gentile, Psychologe an der Iowa State University. "Es gibt mehrere Dimensionen, auf die Computerspiele wirken, einschließlich der Häufigkeit, in der sie gespielt werden, dem Inhalt des Spiels, worauf man auf dem Bildschirm achten muss und wie man die Bewegung kontrolliert". Gentile und Kollege William Stone beschrieben mehrere Studien zu Computerspielen, an denen Schüler, Studenten sowie Chirurgen teilgenommen hatten. Zum einen bestätigten die Schüler- und Studentenstudien frühere Untersuchungen zu Gewaltspielen: Die Spieler gewalttätiger Varianten waren feindlicher gesinnt, weniger versöhnlich und hielten Gewalt für normal, im Vergleich zu Spielern gewaltfreier Spiele. An der Schule gerieten die Spieler "pro-sozialer" Spiele weniger in Streitigkeiten und waren anderen gegenüber hilfsbereiter. Obendrein bestätigten weitere Studien die Erwartung, dass insgesamt diejenigen in der Schule schlechter abschnitten und eher zu Fettleibigkeit neigten, die mehr am Computer spielten.

Eine Untersuchung mit Chirurgen zeigte hingegen, dass auch der Beruf von Computerspielen profitieren kann: Teilnehmer waren 33 Laparoskopen, also Chirurgen, die Operationen in der Bauchhöhle mit langen Instrumenten durch kleine Hauteinschnitte vornehmen. Dabei waren jene, die privat Computerspiele spielten, bei ihren chirurgischen Feinprozeduren um 27 Prozent schneller und machten 37 Prozent weniger Fehler als ihre nicht-spielenden Kollegen, so Gentile. Dies galt auch, nachdem Faktoren wie Berufserfahrung oder Geschlecht der Teilnehmer herausgerechnet waren. In einer zweiten Studie mit 303 Laparoskopen zeigte sich obendrein: Wer zuerst ein Computerspiel absolvierte, das räumliches Vorstellungsvermögen und manuelle Geschicklichkeit erforderte, war bei einer anschließenden "operativen Probebohrung" deutlich schneller, sowohl im ersten Versuch als auch im Schnitt aller zehn Testläufe.

Doch auch Schüler profitieren vom Spielen, weil es Fähigkeiten der Kognition und Wahrnehmung fördern kann. Allerdings je nach Alter unterschiedlich, berichtet Fran C. Blumberg: "Jüngere Kinder scheinen interessierter daran, kurzfristige Ziele für ihr Lernen im Spiel zu setzen, verglichen mit älteren Kindern, die mehr am reinen Spielen und den Spielaktionen interessiert sind". Die Psychologin der Fordham University hatte gemeinsam mit Sabrina S. Ismailer das Problemlösungsverhalten von 122 Fünft-, Sechst- und Siebtklässlern untersucht, während diese ein nie zuvor gesehenes Computerspiel absolvierten. Dabei sollten sie zwanzig Minuten lang laut denken. Die Forscherinnen konnten dadurch die Problemlösungsfähigkeiten der Kinder analysieren, je nach Art ihrer kognitiven, emotionalen, Spiel orientierten oder Kontext bezogenen Äußerungen. Blumbergs Fazit: "Jüngere Kinder dürfen ein größeres Bedürfnis haben, sich auf die kleinen Aspekte eines Problems zu konzentrieren als ältere Kinder, selbst in einer Freizeitsituation wie dem Computerspielen".

Und schließlich kann das spielerische Lernen auch Schulbücher und Lernlabore unterstützen, weil es das wissenschaftliche Denken fördert. Constance Steinkuehler und Sean Duncan von der University of Wisconsin at Madison hatten eine Stichprobe aus fast 2000 Diskussionsbeiträgen eines Internetforums analysiert, in dem sich World-of-Warcraft-Spieler im November 2006 über diverse Aspekte des Spiels unterhalten hatten. Bei dem so genannten Multiplayer-Online-Game treffen sich die Spieler in einer gemeinsamen virtuellen Welt im Internet, um Aufgaben durch Aktionen wie jagen, kämpfen, sammeln oder handwerken zu erfüllen, wodurch ihre Figuren Kraft gewinnen und neue Spielstufen erreichen. Figuren, die zusammen arbeiten, kommen dabei schneller voran. Steinkuehler und Duncan klassifizierten nun die Art der Unterhaltungen im Forum nach fachlichen Regeln, etwa ob es sich um soziales Geplänkel oder um zielgerichtetes Problemlösen, also eine wissenschaftliche Argumentation handelte. Dabei war auch wichtig, ob Argumentation mithilfe von Systemen und Modellen stattfand, ob Rückmeldungen verstanden wurden, ob Prognosen, Tests oder mathematisches Denken zum Einsatz kamen, wenn ein Problem zu lösen war.

Fazit der World-of-Warcraft-Studie: Die Mehrzahl der Spieler, nämlich 86 Prozent, teilten ihr Wissen, um Probleme zu lösen, und mit 58 Prozent nutzte mehr als die Hälfte systematische und bewertende Prozesse, die auf wissenschaftliches Argumentieren schließen lassen. Oder in Duncans Worten: "Spieler diskutieren ihre Strategie und ihr Denken öffentlich und schaffen durch das Spielen dieser Online-Computerspiele ein Umfeld, in dem informelle wissenschaftliche Argumentationspraktiken erlernt werden".

American Psychological Association (APA)
Quelle: "Four dimensions of Video Game Effects," William Stone & Douglas A. Gentile; "Children's Problem Solving During Video Game Play," Fran C. Blumberg & Sabrina S. Ismailer; "Informal Scientific Reasoning in Online Game Forums," Constance Steinkuehler & Sean C. Duncan; Präsentationen auf der Jahrestagung der American Psychological Association (APA), Boston, Session 4076, Sonntag 17.8.08, 9 Uhr


 

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