Mathe lernen: Je abstrakter, desto erfolgreicher

Columbus (USA) - Ob Textaufgabe, reales Problem oder praktische Anwendung - trockene Mathematik wird Schülern gerne anhand anschaulicher Beispiele näher gebracht. Doch Beispiele helfen nicht unbedingt dabei, mathematische Konzepte zu verinnerlichen und bei der Lösung anderer Aufgaben zu verwenden. Das haben amerikanische Psychologen jetzt in einer Reihe von Versuchen gezeigt. Im Gegensatz zu der gängigen Ansicht, dass sich Mathematik damit einfacher lernt, scheinen plastische Beispiele das grundlegende Verständnis für ein Konzept eher zu erschweren. Abstrakte Prinzipien dagegen erleichtern es, das Gelernte auch auf neue Situationen zu übertragen, berichten die Forscher im Fachblatt "Science".

"Dieses Ergebnis lässt Zweifel an einer seit langem bestehenden Lehrmeinung aufkommen", sagt Vladimir Sloutsky von der Ohio State University in Columbus, einer der Autoren der Studie. "Die Ansicht, konkrete Beispiele zu verwenden, ist sehr tief verwurzelt und wurde nie in Frage gestellt oder überprüft." In einer Serie von Experimenten machte Sloutsky nun gemeinsam mit seinen Kollegen Jennifer Kaminski und Andrew Heckler den Test: Wie erlernen Studenten ein einfaches mathematisches Konzept besser - anhand eines allgemeinen Prinzips oder mithilfe konkreter Beispiele? Dies testeten die Forscher in vier unterschiedlichen, leicht variierten Versuchen. Sie brachten den Studenten eine mathematische Regel bei - einigen anhand abstrakter Symbole, den anderen über passende Beispiele. In einem anschließenden Spiel testeten sie, wie gut die Teilnehmer das Konzept verstanden hatten und auf eine gänzlich neue Situation anwenden konnten.

Die überraschende Beobachtung der Psychologen: Diejenigen, die anhand abstrakter Symbole gelernt hatten, schnitten wesentlich besser darin ab, die Informationen auf die neue Aufgabe zu übertragen, als die Probanden aus der Beispielgruppe. Studenten scheinen durchaus schnell zu lernen, wenn sie reale und vertraute Objekte wie Murmeln oder wassergefüllte Behälter vor sich haben. Deshalb sei durchaus leicht nachvollziehbar, dass dieser Ansatz großen Anklang findet, so die Autoren der Studie. "Doch es stellt sich heraus, dass es keinen wahren Durchblick gibt", erklärt Sloutsky. "Sie können sich nicht über diese realen Objekte hinaus bewegen und das Wissen auch anwenden. Es ist sehr schwierig, einer Problemgeschichte mathematische Prinzipien zu entnehmen."

Ein Beispiel wäre eine klassische Textaufgabe, in der zwei Züge zwei Städte mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten verlassen und berechnet werden soll, wann sie sich treffen. "Die Gefahr, anhand dieses Beispiels zu lehren, besteht darin, dass viele Studenten lediglich lernen, das Problem mit den Zügen zu lösen", erklärt Kaminski. "Wenn Studenten dann später vor ein Problem gestellt werden, das die selben mathematischen Prinzipen nutzt sich aber um steigende Wasserpegel statt um Züge dreht, scheint das Wissen einfach nicht übertragen zu werden." Das Problem bestünde möglicherweise darin, dass ausführliche Informationen die Aufmerksamkeit von der tatsächlichen Mathematik dahinter ablenkt. Zwar raten die Forscher nach ihren Beobachtungen nun nicht, gänzlich auf Beispiele zu verzichten. Doch beim Einführen neuer Konzepte ausschließlich Beispiele zu verwenden, würde die Fähigkeit der Studenten, ihr Wissen anzuwenden, stark einschränken, geben sie zu bedenken. "Wir müssen diese Konzepte in sehr symbolische Repräsentationen wie Variablen und Zahlen zerlegen", sagt Kaminski. "Dann sind Studenten besser darauf vorbereitet, diese Konzepte in einer Vielfalt von Situationen anzuwenden."

Science
Quelle: "The Advantage of Abstract Examples in Learning Math", J.A. Kaminski, V.M. Sloutsky et al.; Science (Vol. 320, S. 454)


 

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