Lungenfibrose: Von den Schwämmen geerbt?

Beim Einatmen von Quarzstaub laufen in der Lunge ähnliche Reaktionen ab wie bei der Aufnahme von Quarzkristallen durch marine Hornkieselschwämme
Der Nierenschwamm Chondrosia reniformis zählt zu den Hornkieselschwämmen, die unter anderem im Mittelmeer vorkommen.
Der Nierenschwamm Chondrosia reniformis zählt zu den Hornkieselschwämmen, die unter anderem im Mittelmeer vorkommen.
© Guido Picchetti - http://www.guidopicchetti.it / Creative-Commons-Lizenz (CC BY-SA 3.0), https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.de
Genua (Italien) - Schwämme sind die urtümlichsten aller tierischen Lebensformen. Dennoch gibt es molekularbiologische Gemeinsamkeiten mit dem Menschen, deren Erforschung von medizinischer Bedeutung sein könnte. So nehmen Hornkieselschwämme Quarzpartikel auf, was zwar vorübergehende Entzündungsreaktionen aber keine bleibenden Schäden verursacht. Die anschließende, durch aktivierte Gene verstärkte Kollagenbildung nützt den Organismen sogar, da sich dadurch die Körperform festigt. Wenn winzige Quarzkristalle aus Siliziumdioxid als Feinstaub in die menschliche Lunge gelangen, werden zunächst ganz ähnliche Gene aktiviert wie bei unseren entfernten Verwandten, berichten italienische Biologen im „Journal of Experimental Biology“. Aber anders als bei den Schwämmen hält die Entzündung im Lungengewebe dauerhaft an und kann zu schweren Erkrankungen wie Silikose und Lungenkrebs führen. Zu wissen, worin sich die ablaufenden Prozesse unterscheiden, könnte Hinweise auf neue Therapien der Silikose liefern.

„Wir stellen die Hypothese auf, dass sich eine Stoffwechselreaktion der frühesten tierischen Lebewesen bis zur Evolution der Säugetiere erhalten hat und zur Ursache von Erkrankungen geworden sein könnte“, schreiben die Forscher um Marina Pozzolini von der Universität Genua. Sie untersuchten, wie Gewebekulturen des marinen Hornkieselschwamms Chondrosia reniformis, auch Nierenschwamm genannt, auf den Kontakt mit Quarzstaub reagieren. Reproduzierbare Experimente mit lebenden Tieren sind kaum möglich, da ihre Kultivierung in Aquarien sehr schwierig ist. Beim Menschen verursacht das Einatmen mikrokristalliner Quarzpartikel mit der Zeit schwere Lungenschäden: Es entwickelt sich eine chronische Entzündung und das vermehrt gebildete kollagenhaltige Bindegewebe schwächt die Lungenfunktion. Besonders gefährdet sind Bergleute und Arbeiter der Glas- und Keramikindustrie, bei denen zusätzlich das Lungenkrebsrisiko steigt, wenn sie an einer Silikose, einer Form der Lungenfibrose, erkrankt sind.

Im Schwammgewebe löste der Kontakt mit Quarzfeinstaub die Freisetzung eines entzündungsfördernden Botenstoffs aus, der dem im Lungengewebe produzierten Botenstoff TNF sehr ähnlich war. Dieser bewirkte indirekt die Aktivierung von Genen, die an der Bildung von Kollagenfasern beteiligt sind. Chemische Untersuchungen bestätigten, dass dadurch die Menge an Kollagen im Bindegewebe zunahm. Wurde die TNF-Funktion durch Hemmstoffe blockiert, änderte sich die Kollagenproduktion durch den Feinstaub nicht. Während die Vermehrung von Bindegewebe in den Lungen krankhaft ist, profitieren die Schwämme davon, weil das ihren Körper festigt. Auch die Quarzpartikel selbst dienen zur Festigung, indem ein Teil des Mineralstoffs dauerhaft im Gewebe verbleibt. Ein anderer Teil wird enzymatisch abgebaut und als lösliches Silikat freigesetzt. All diese Vorgänge verursachten keine erkennbaren Schäden im Schwammgewebe. In feinstaubbelasteten Lungen dagegen verringert sich die angekurbelte TNF-Produktion nicht mehr, Zellen sterben ab, das vermehrte Kollagen schränkt die Lungenfunktion ein und es findet kein enzymatischer Abbau der Quarzkristalle statt. Die Forscher wollen nun herausfinden, worauf diese Unterschiede in der Reaktion auf die Quarzpartikel beruhen. Sie erhoffen sich damit Erkenntnisse zur Entwicklung neuer Therapien für Silikosepatienten.

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Quelle: „Silica induced fibrosis: an ancient response from the early metazoans“, Marina Pozzolini et al.; Journal of Experimental Biology, DOI: 10.1242/jeb.166405, http://jeb.biologists.org/content/220/21/4007


 

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