Leicht rein, schwer raus: Widerhaken an Stachelschwein-Stacheln mit Doppelfunktion

Struktur und und Anordnung sind für geschmeidiges Eindringen in und kniffeliges Herausziehen aus Gewebe optimiert
Die Spitze eines synthetischen Stachelschweinstachels unter dem Mikroskop
Die Spitze eines synthetischen Stachelschweinstachels unter dem Mikroskop
© Karp Lab
Boston (USA) - Begegnungen mit einem Stachelschwein können äußerst unangenehm werden, wenn man selbigem zu nahe kommt. Insbesondere die Stacheln der nordamerikanischen Vertreter zeichnen sich dadurch aus, dass sie sehr leicht durch Haut und Muskeln dringen, aber dank winziger Widerhaken nur schwer wieder herauszubekommen sind. Nun sind US-Forscher der Mikrostruktur der Stacheln auf den Grund gegangen, um herauszufinden, wie genau diese fiesen Eigenschaften zustande kommen. Ihr Ergebnis: Zuzuschreiben sind sie der besonderen Struktur und Anordnung der Widerhaken an Spitze und Schaft der Stacheln, berichten die Wissenschaftler im Fachblatt „Proceedings of the National Academy of Sciences“. Sie hoffen, dass ihre Erkenntnisse zur Entwicklung moderner medizinischer Gerätschaften beitragen können – beispielsweise Nadeln, die besonders schmerzarm ins Gewebe eindringen, oder neuartige Klebstoffe, die das Gewebe mechanisch zusammenhalten.

„Am meisten hat uns überrascht, dass die Widerhaken auf den Stacheln eine Doppelfunktion haben“, sagt Jeffrey M. Karp vom Brigham and Women’s Hospital an der Harvard Medical School in Boston. „Und zwar reduzieren die Widerhaken die Kräfte für ein leichtes Eindringen ins Gewebe und maximieren die Haltekraft, um die Stacheln unglaublich schwer entfernbar zu machen.“ Karp und seine Kollegen hatten in einer Reihe von Versuchen unter die Lupe genommen, wie unterschiedliche Stacheltypen Materialien wie Haut, Muskelgewebe oder Gelatine durchdringen und in ihnen haften bleiben. Sie untersuchten etwa die verschiedenen Oberflächen der Stacheln sowie deren Wirkung auf die Gewebe unter dem Mikroskop und maßen auch die dabei auftretenden Kräfte. Sie arbeiteten unter anderem mit den widerhakenbesetzten Stacheln nordamerikanischer Stachelschweine, den glatteren Stacheln afrikanischer Vertreter sowie mit synthetisch hergestellten Stacheln.

„Indem wir vorsichtig die Widerhaken von den Stacheln entfernten, entdeckten wir, dass zusätzlich zu ihren physikalischen Eigenschaften die Position der Widerhaken auf dem Stachel eine große Rolle dabei spielt, die Eindring-Kräfte zu minimieren und den für das Herausziehen benötigten Aufwand zu maximieren“, erläutert Karps Kollege Woo Kyung Cho. Widerhaken an der Spitze des Stachels haben dabei den größten Effekt auf die Kräfte, die zum Herausziehen des Stachels benötigt werden. In dem Bereich des Stachels, in dem dessen Durchmesser stark ansteigt, haben sie dagegen den gravierendsten Einfluss auf die Kräfteminimierung beim Eindringen. Die Widerhaken schneiden sich im Grunde wie winzige Sägezähne durch das Gewebe, was die Kraft verringert, die zum Eindringen benötigt wird. Die Forscher vergleichen dies mit der Wirkung eines gezackten Messers, das weniger Kraftaufwand zum Schneiden benötigt, weil die Kraft an den Spitzen der einzelnen Zähne auftritt. Genauso wie gezahnte Messerklingen sauberere Schnitte erzeugen, deformieren auch die Widerhaken auf den Stacheln Gewebe weniger stark.

Karp und seine Kollegen sehen eine Vielzahl potenzieller Anwendungsmöglichkeiten für ihre Ergebnisse. Sie erhoffen sich sogar ähnlich großes Potenzial wie bei anderen von der Natur inspirierten Entwicklungen, etwa dem Klettverschluss. Für denkbar halten sie unter anderem einen Einsatz für besonders effektive Nadeln. Aber auch als Heftmaterial könnte sich ein von Stachelschweinstacheln inspirierter "Klebstoff" eignen: Weniger als einen halben Zentimeter ins Gewebe eingedrungen haben die Stacheln bereits festen Halt und im Gegensatz zu Heftklammern muss man sie nicht umbiegen, um sie zu fixieren, so die Autoren.

Gerüchten zufolge können Stachelschweine in Bedrängnis ihre Stacheln auf Angreifer schießen. Dies sei völlig falsch, erklärt Karp. Und gerade weil die Tiere ihre Stacheln nicht verschleudern, sind sie darauf angewiesen, dass diese das Gewebe des Feindes effektiv durchdringen können und ihm lange zu schaffen machen.

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