Lecker Aas: Geier berauben Adler

Die Aasfresser belauern Adler, um eine gefundene Kadavermahlzeit dann für sich zu beanspruchen
In Kenia beobachtet: Bei der Futtersuche halten sich Geier an Adler.
In Kenia beobachtet: Bei der Futtersuche halten sich Geier an Adler.
© Darcy Ogada 2014
Dublin (Irland) - Essen ist fertig – scheinen sich Geier zu denken, wenn Adler einen Kadaver entdeckt haben. Und sie machen nicht davor halt, den Königen der Lüfte das Fressen streitig zu machen, hat ein Team internationaler Biologen jetzt beobachtet. Die Geier bespitzeln die Adler, die gelegentlich durchaus Aas fressen, und profitieren von deren Funden. Dann vertreiben sie die Konkurrenz pöbelnd vom Futterplatz, indem sie in größeren Gruppen hinab stoßen. Ihnen kommen dabei gleich zwei Dinge zugute: Erstens sind Adler mit ihrer hervorragenden Sicht besser als Geier dazu in der Lage, Aas aus der Luft zu erspähen. Zweitens können sie die Kadaver mit ihren kräftigen Schnäbeln besser aufbrechen. Die Futterbeschaffung von Geiern ist damit deutlich komplexer als bislang gedacht, schreiben Forscher im Fachblatt „Proceedings of the Royal Society B”. Die aasfressenden Vögel nutzen bei der Futtersuche demnach nicht nur Hinweise ihrer Artgenossen, sondern auch von Angehörigen anderer Arten. Diese Zusammenhänge nun zu kennen, könnte dabei helfen, die bedrohten Geier effektiver zu schützen, hoffen die Forscher.

„Wir filmten Interaktionen zwischen Adlern und Geiern, die sich an Tierkadavern gütlich getan haben“, erzählt Adam Kane von der School of Natural Sciences am Trinity College Dublin. „Unsere Videos bestätigen: Adler nutzen ihre scharfen Augen, um die Kadaver als erste zu finden, während die Geier einfach ‚schnorren’, indem sie ihnen zu den Kadavern folgen.“ Die Biologen hatten Weißrückengeier (Gyps africanus) und Sperbergeier (Gyps rueppellii) sowie Raubadler (Aquila rapax) und Steppenadler (Aquila nipalensis) in freier Wildbahn in Kenia beobachtet. Ihre Studie stützt sich aber nicht allein auf diese Feldforschungen, in denen sie die Ankunftszeiten der verschiedenen Vögel bei den Kadavern analysierten. Darüber hinaus arbeiteten Kane und seine Kollegen mit Modellrechnungen.

Die zeitlichen Daten aus den Videos belegen, dass die Adler die Information über eine Futterquelle erstellen. Sie gelten damit als Produzenten. Die Aasfresser hingegen sind die Nutzer, oder auch Schnorrer, dieser Information. Die Geier folgen den Adlern aber nicht einfach nur zu einer guten Futterquelle. Sie nutzen gleichzeitig aus, dass die Adler mit ihren starken Schnäbeln zum Beispiel die Häute der toten Tiere leicht aufreißen können – was die Geier selbst nicht bewerkstelligen könnten. Die Schnorrer warten also einfach ab, bis die Produzenten die Drecksarbeit geleistet haben. Erst dann vertreiben sie die Konkurrenz vom Essenstisch und machen sich über das Fressen her. „Das soll aber nicht heißen, dass die Adler dabei die Verlierer sind“, so Kane. Sie kämen früher an und hätten somit den Vorteil, sich zuerst bedienen zu können. „Wenn sie erstmal vertrieben wurden, können sie ja wieder etwas auf die Jagd gehen – eine Strategie, die Geiern nicht zur Verfügung steht.“

Mit Hilfe ihrer Modellberechnungen konnten die Biologen weitere Details der im Feld beobachteten Zusammenhänge noch in der Theorie analysieren. So zeigt das Modell zur Spieltheorie, dass ein solches Ungleichgewicht im Wettkampf – in dem die Geier die Adler an den Kadavern quasi beherrschen – dieses Ergebnis vorhersagt, das sich in der Evolution entwickelt hat. Die Spieltheorie setzt sich mit der Ökonomie von Kooperation und Betrügerei bei konkurrierenden Interessen auseinander. Ein weiteres Modell legt zudem nahe, dass die Wechselwirkungen zwischen den Adlern als Produzenten und den Geiern als Schnorrern dazu führen, dass die Geier anfällig dafür sind, wenn die Population der Adler schrumpft.

Geier sind ein ganz zentraler Teil des Ökosystems. Während andere Greifvögel wie Adler zwar auch Aas nicht verschmähen, aber ebenso selbst erlegte Beute fressen, ernähren sie sich ausschließlich von Aas. So verwerten sie tote und verwesende Biomasse und vermindern zum Teil auch die Verbreitung bestimmter Krankheiten. Um sie effektiv schützen zu können, das belegt die aktuelle Studie, ist es notwendig, das gesamte Ökosystem zu betrachten und in den Schutz einzubeziehen. „Geier waren einst die häufigsten Greifvögel auf der Welt, aber ihre Zahl wurde in den vergangenen Jahrzehnten besonders stark geschädigt, durch Verlust des Lebensraums, unbeabsichtigte Vergiftung und Jagd“, erläutert Andrew Jackson vom College Dublin, Co-Autor der Studie. „Unsere Studie zeigt, dass es wichtig ist, auch andere Arten zu beachten, wenn man versucht, Geier zu schützen.“ In diesem Fall heiße das: Diejenigen Greifvögel zu schützen, die früh zur Stelle sind, könne helfen, die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, dass Geier genügend Futter zum Überleben finden.

© Wissenschaft aktuell


 

Home | Über uns | Kontakt | AGB | Impressum | Datenschutzerklärung
© Wissenschaft aktuell & Scientec Internet Applications + Media GmbH, Hamburg