Leben nach der Menopause: Weise Orca-Weibchen weisen den Weg

Über die fortpflanzungsfähigen Jahre hinaus sind Walweibchen wertvolle Anführer und geben ihr Wissen über Jagdgründe weiter
Orca beim Lachsfang
Orca beim Lachsfang
© David Ellifrit, Center for Whale Research
Exeter (Großbritannien) - Orca-Weibchen im fortgeschrittenen Alter können zwar keinen Nachwuchs mehr bekommen, sind aber immer noch bedeutende Familienmitglieder. Denn sie bleiben ihr Leben lang wichtige Anführer für ihre Kinder und Kindeskinder. Ganz besonders in Zeiten der Futterknappheit profitieren die anderen Wale immens vom Wissen und von der Erfahrung der alten, weisen Weibchen, wann und wo doch noch Beute zu finden ist. Das haben britische Verhaltensforscher bei den Meeressäugern beobachtet, wie sie im Fachblatt „Current Biology“ berichten. Die Ergebnisse ihrer Forschungen geben einen weiteren Hinweis darauf, aus welchen Gründen sich eine ausgeprägt lange Lebensphase nach der Menopause – die abgesehen vom Menschen lediglich bei zwei Walarten bekannt ist – in der Evolution entwickeln und durchsetzen konnte.

„Die lange Lebenszeit noch nach der Menopause ist eines der großen Mysterien der Natur“, erläutert Lauren Brent von der University of Exeter und Erstautorin der Studie. „Unsere Studie ist die erste, die zeigt, dass der aus der Weisheit der Alten gewonnene Nutzen einer der Gründe dafür sein könnte, dass weibliche Orcas noch lange Zeit weiter leben, obwohl sie sich nicht mehr fortpflanzen können.“ Beim Orca (Orcinus orca), auch Schwertwal genannt, tritt ebenso wie beim Menschen das Phänomen einer ungewöhnlich langen Lebensphase noch nach der Menopause auf. Die Weibchen sind bis zu einem Alter von rund 30 bis 40 Jahren fortpflanzungsfähig, können aber mehr als 90 Jahre alt werden. Die Biologen hatten 751 Stunden Videomaterial von Orcas analysiert, die in den Küstengewässern des Nordpazifiks vor den USA und Kanada leben. Die Aufnahmen waren während der Lachswanderungen in den Sommern von 2001 bis 2009 entstanden. Außerdem nutzten sie demografische Aufzeichnungen zu Geburten, Toden, Verwandtschaftsverhältnissen und sozialen Bindungen, die seit 1976 bei einer der dortigen Populationen gesammelt werden. Bei insgesamt 102 Individuen – 58 Weibchen, 44 Männchen – schauten die Forscher, welche Tiere jeweils die Führung einer Gruppe übernahmen und welche folgten.

Die Biologen stellten fest: Weibchen, die bereits ihre Menopause erreicht hatten, nahmen häufiger als andere Wale Führungspositionen ein. Ein Abgleich mit Daten darüber, ob Lachse – eine der Hauptfutterquellen der Meeressäuger – in einem Jahr reichlich oder spärlich als Beute vorhanden waren, zeigte zudem: Eine besonders große Rolle spielten die Führungsqualitäten der alten Wal-Damen in Notzeiten, nämlich in den Jahren, in denen Lachs knapp war. Außerdem folgen Söhne den Müttern häufiger als Töchter. Die Ergebnisse zeigen, schreiben die Forscher, dass die Weibchen auch nach ihrer reproduktiven Phase die biologische Fitness ihres Nachwuchses stärken, indem sie Wissen über die ökologischen Gegebenheiten weitergeben. „Beim Menschen nahm man an, dass die lange Phase nach der Menopause einfach ein Artefakt moderner Medizin und verbesserter Lebensumstände ist“, sagt Seniorautor Darren Croft, ebenfalls von der University of Exeter. „Allerdings gibt es immer mehr Beweise, die nahelegen, dass es sich auch beim Menschen um eine Anpassung handelt. Bei Jägern und Sammlern ist das Teilen von Nahrung eine der Möglichkeiten, wie Frauen nach der Menopause ihren Verwandten helfen und somit auch die Weitergabe ihrer eigenen Gene verbessern. Frauen nach der Menopause könnten auch noch ein weiteres wichtiges Gut geteilt haben: Informationen. „Die Weisheit der Älteren könnte somit ein plausibler Grund dafür sein, warum weibliche Individuen noch lange leben, obwohl sie sich nicht länger fortpflanzen können – und somit das Entstehen der Lebensphase nach der Menopause erklären – bei Walen wie auch beim Menschen.

In einer früheren Studie hatte Croft gemeinsam mit Kollegen ebenfalls anhand von langjährigen Beobachtungen und Datensammlungen herausgefunden, dass ganz besonders die Söhne auf ihre Mütter angewiesen sind. Denn ihre Überlebenschancen verringern sich merklich nach dem Tod der Mutter – je älter ein Walmännchen ist, desto drastischer. Die Erkenntnisse aus der neuen Studie ergänzen diese Ergebnisse und fügen dem Bild um den evolutionären Sinn der Menopause ein weiteres Puzzlestück hinzu.

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