Lava auf dem Luftkissen

Reduzierte Reibung erklärt hohes Tempo heißer, pyroklastischer Ströme bei Vulkanausbrüchen
Pyroklastischer Strom am Hang des Vulkans Mayon auf den Phillipinen.
Pyroklastischer Strom am Hang des Vulkans Mayon auf den Phillipinen.
© C.G. Newhall, USGS / gemeinfrei
Palmerston North (Neuseeland) - Im Jahr 79 hatten die Bewohner von Pompeji und Herculeneum keine Chance. Nach dem Ausbruch des Versuv rasten bis zu 300 Grad heiße, pyroklastische Ströme aus Lava, Asche und Gasen über die Städte hinweg und forderten tausende Opfer. Bis heute bedrohen diese mehrere hundert Stundenkilometer schnellen Glutlawinen Wanderer und die nah um Vulkane siedelnde Bevölkerung - vom Ontake in Japan über den Mayon auf den Phillippinen bis zum Mount St. Helens in den USA. Das Geheimnis hinter den rasanten und sehr weit reichenden Strömen konnten nun Vulkanologen aus Neuseeland entschlüsseln. In der Fachzeitschrift „Nature Geophysics“ berichten sie, dass Schichten aus Luft und vulkanischen Gasen an der Unterseite der heißen Ströme die Reibung drastisch verringern. Damit könnten die Luftkissen wesentlich für das schnelle Tempo und die große Reichweite verantwortlich sein.

Da direkte Messungen in pyroklastischen Strömen lebensgefährlich sind, stellten Gert Lube und seine Kollegen am Institute of Geoscience der Massey University in Palmerston North einen Vulkansausbruch im Labor nach: Über eine zwölf Meter lange und einen halben Meter breite Rampe ließen sich eine Mischung aus Staub und Geröll rutschen. Die Bewegung des künstlichen Lavastroms untersuchten sie mit Drucksensoren und einer Hochgeschwindigkeitkamera. Bei diesen Versuchen offenbarte sich ein überraschendes Verhalten. Tatsächlich verringerte ein Luftkissen unter der Gerölllawine die Reibung deutlich. „Unsere Simulation einer Eruption erklärt das Geheimnis der Strömungen, das Wissenschaftler über Jahrzehnte beschäftigte“, sagt Lube.

Verantwortlich für diesen Effekt waren hohe Schergeschwindigkeiten im künstlichen Lavastrom. So rutschten die oberen Schichten der Gerölllawine viel schneller abwärts als die tiefer liegenden. Dabei bildete sich eine Zone mit dem höchsten relativen Luftdruck knapp oberhalb des Untergrunds. Aus dieser Zone entwich Luft in die Zonen mit geringerem Luftdruck – sowohl nach oben als auch nach unten. Die nach unten gerichtete Luftströmung verdrängte einzelne Geröllstücke. Parallel bildete sich an der Unterseite der Lawine ein dünnes Luftkissen auf.

Zusätzlich zum Experiment simulierten Lupe und Kollegen diesen Luftkissen-Effekt im Rechner. Die berechneten Resultate bestätigten, dass sich abhängig von der Schergeschwindigkeit im einer Glutlawine ein Luftkissen aufbauen kann. Die dadurch verringerte Reibung erklärt schlüssig die Schnelligkeit von pyroklastischen Strömen und die große Reichweite über Dutzende Kilometer. Auf der Basis dieses Analyse könnten nun die Gefahrenzonen rund um Vulkane besser abgeschätzt werden. Nutznießer wären rund 500 Millionen Menschen, die im Umfeld von Vulkanen mit Tendenz zu pyroklastischen Strömen leben. Zudem ist es nicht unwahrscheinlich, dass der Luftkissen-Effekt auch bei Schneelawinen oder Flankenabbrüchen im Gebirge eine Rolle spielen könnte.

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