Lass jucken!

Schlüsselelemente des Juckreizes auf Ebene der Nervenzellen identifiziert
Juckt es am Rücken, ist ein Rückenkratzer hilfreich.
Juckt es am Rücken, ist ein Rückenkratzer hilfreich.
© Immanuel Giel, Wikimedia commons, public domain
Bethesda (USA) - Jucken ist eine Sinneswahrnehmung, die auf komplexe Vorgänge im Körper zurückzuführen ist. US-Forschern ist es nun gelungen, ein Schlüsselelement der unangenehmen Empfindung auszumachen: Ganz zentral an der Entstehung beteiligt ist offenbar ein Botenstoff namens Nppb, berichten sie im Fachblatt „Science“. Der Eiweißstoff scheint am Anfang einer ganzen Abfolge von Mechanismen im Nervensystem zu stehen, an dessen Ende der Sinneseindruck des Juckens entsteht. Fehlt dieses kleine Molekül, bleiben Jucken und Kratzen aus, haben die Biologen bei Mäusen beobachtet. Dies ist auch dann der Fall, wenn die entsprechenden Rezeptoren, die auf Nppb reagieren, blockiert werden. Die Entdeckung könnte helfen, neue Ansätze für die Therapie von Krankheiten zu finden, bei denen Juckreiz im Zentrum der Beschwerden steht – etwa bei Ekzemen oder Schuppenflechte.

„Unsere Arbeit zeigt, dass Jucken, das man ursprünglich als eine schwache Form von Schmerz eingestuft hat, eine eigenständige Empfindung ist, die einzigartig im Nervensystem verschaltet ist“, erläutert Mark A. Hoon vom National Institute of Dental and Craniofacial Research, einer Abteilung der National Institutes of Health. Diese Verschaltung entspräche dem biologischen Äquivalent eines eigenen Festnetzanschlusses zum Hirn. Nppb ist ein sogenanntes Polypeptid und dient in seiner Funktion als Neurotransmitter der Signalübertragung an Nervenzellen. In einer Reihe von Experimenten hatten Hoon und sein Kollege Santosh K. Mishra dessen mögliche Funktion untersucht. Die Forscher wollten herausfinden, wie bestimmte Nervenzellen arbeiten, die unter anderem an der Empfindung von Temperatur und Schmerz beteiligt sind. „Wir testeten Nppb auf eine mögliche Rolle bei verschiedenen Empfindungen – ohne Erfolg“, erzählt Mishra. Als die Forscher aber gentechnisch veränderten Mäusen, denen die Erbinformationen für Nppb fehlte, diverse Substanzen verabreichten, die für gewöhnlich einen Juckreiz auslösen, stellten sie verblüfft fest: „Es passierte nichts“, so Mishra. „Die Mäuse kratzten sich einfach nicht.“

In weiteren Versuchen untermauerten die Biologen, dass Nppb entscheidend mit der Empfindung des Juckens zusammenhängt und das zentrale Bindeglied darstellt zwischen den Sinneszellen in der Haut, die das Jucken registrieren, und den Nervenzellen, die die Wahrnehmung des Juckreizes ans Gehirn schicken. Sie injizierten das Polypeptid beispielsweise direkt ins Gewebe und konnten damit einen unmittelbaren Juckreiz auslösen. Außerdem machten sie Zellen mit Rezeptoren aus, die auf den Botenstoff reagieren und das Juck-Signal ans Gehirn in die Wege leiten. Entfernten die Forscher diese Nervenzellen, die für diese Signalweiterleitung zuständig sind, konnten sie feststellen: Jucken bleibt aus, aber andere Empfindungen wie Temperatur, Berührung und Schmerz bleiben erhalten.

Da das Nervensystem von Mäusen dem von Menschen prinzipiell ähnelt, gehen die Biologen davon aus, dass der Juckreiz beim Menschen ähnlich verarbeitet wird wie bei Mäusen. Demnach könnte es auch im menschlichen Nervensystem ein Schlüsselelement am Anfang einer Kaskade von Ereignissen geben. Allerdings würde sich Nppb selbst vermutlich kaum als Ziel für therapeutische Ansätze eignen. Das Peptid hat noch weitere Funktionen im Körper – etwa bei Herz und Nieren. Es schlicht außer Funktion zu setzen, könnte daher zu gravierenden Nebenwirkungen führen,. Die größere wissenschaftliche Arbeit steht somit noch bevor. „Wir haben in der Maus die primären Nervenzellen definiert, die das Jucken initiieren, und die ersten Schritte in diesem Signalweg herausgearbeitet“, sagt Hoon. Die Herausforderung sei nun, ähnliche biologische Schaltkreise auch beim Menschen zu finden und in diesem Mechanismus bestimmte Moleküle zu finden, die als Angriffspunkte genutzt werden können, um chronischen Juckreiz ohne unerwünschte Nebenwirkungen auszuschalten. „Das ist also ein Anfang“, so Hoon, „und kein Ende.“

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