Küche oder Fitnessstudio?

„Die Daten legen nahe, dass ein Verhalten das andere ersetzt“, erläuterte Rachel Tumin vom Ohio State University's College of Public Health. „Wenn die Menge der Zeit, die Männer und Frauen mit der Zubereitung von Essen verbringen, ansteigt, sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass dieselben Leute mehr Sport treiben werden.“ Nehme man also zum Beispiel an, dass Erwachsene 45 Minuten freier Zeit haben, die sie für gesundheitsfördernde Verhaltensweisen reservieren, so die Hauptautorin der Studie, müsse man dies ganzheitlich betrachten und bestimmen, wie diese Zeit optimal genutzt werden kann. Für ihre Statistik hatten Tumin und ihre Kollegen die Daten von insgesamt 112.037 Erwachsenen genutzt, die an einer großen US-Umfrage zur Nutzung ihrer Zeit teilgenommen und dabei Angaben zum Tagesablauf 24 Stunden vor der Befragung gemacht hatten. Die Forscher suchten nach der Dauer sportlicher Freizeitaktivitäten und aller Aktivitäten, die mit der Zubereitung von Mahlzeiten zu tun hatten. Essen frisch selbst zuzubereiten ist meistens deutlich gesünder als sich von Fastfood oder Fertiggerichten zu ernähren – kostet aber auch eindeutig mehr Zeit als ein Besuch im Fastfood-Rastaurant.
Die Analyse ergab: Frauen verbrachten mit durchschnittlich 44 Minuten deutlich mehr Zeit mit der Essenszubereitung als Männer, die im Schnitt lediglich 17 Minuten dafür verwendeten. (1975 übrigens waren es bei Männern rund 20 Minuten, bei Frauen noch geschlagene 92 Minuten.) Sport nahm bei Männern durchschnittlich 19 Minuten des Tages ein, bei Frauen nur 9 Minuten. Bei diesen Werten ist allerdings zu beachten, dass nur 16 Prozent der Männer und 12 Prozent der Frauen am abgefragten Tag überhaupt sportlich aktiv waren und auch die Nicht-Aktivität in den Durchschnittswert einfloss. Es war dabei offenbar nicht so, dass eine gesunde Aktivität die andere förderte. Vielmehr zeichnete sich die Tendenz ab, dass eine die andere ersetzte. Dies galt für alleinlebende wie auch für verheiratete Männer und Frauen, unabhängig davon, ob sie Kinder hatten oder nicht. So gingen zehn Minuten mehr Zeit für die Zubereitung von Mahlzeiten mit einer verringerten Wahrscheinlichkeit einher, zehn Minuten länger Sport zu treiben. Bei kinderlosen Single-Männern beobachteten die Forscher sogar, dass jeweils zehn Minuten mehr Zeit für die Essenszubereitung mit einer um drei Prozent höheren Wahrscheinlichkeit verbunden waren, am selben Tag überhaupt nicht mehr zu trainieren.
Die Forscher weisen allerdings auch explizit auf Schwächen ihrer Statistik hin. Etwa erlaubt die Datenlage lediglich die Analyse eines einzelnen Tages, über den die Befragten Auskunft gegeben haben – nicht aber die mehrerer Tage oder gar eines längere Zeitraums. Daher ließe sich zum Beispiel nicht erkennen, wenn jemand zwar an einem Tag der Woche viel Zeit der Essensplanung und dem Kochen widmet, dadurch aber an den anderen Tagen mehr Zeit für Sport hat. Doch selbst wenn dies so wäre, bleibt die Tatsache, dass Zeit häufig knapp ist – ganz besonders für arbeitstätige Eltern.
Für zeitintensive Verhaltensweisen, so Tumin, müssten Verantwortliche für das Gesundheitswesen ihre Empfehlungen dahingehend ausrichten, wie viel tägliche Zeit ihrer Ansicht nach insgesamt sinnvoll für diese Aktivitäten ist: „Wenn Erwachsene ein bestimmtes Zeitbudget haben, das sie gesunden Aktivitäten widmen können, dann sollten Empfehlungen darauf zugeschnitten sein, dieses Zeitbudget effizient zu nutzen.“ Manche gesunden Verhaltensweisen kosten zudem wenig oder gar keine Zeit – beispielsweise nicht zu rauchen, exzessiven Alkoholgenuss zu vermeiden, die Ernährung umzustellen und weniger Fett und mehr Obst und Gemüse zu sich zu nehmen.