Keine Überflieger aus der Unterschicht?
"Lehrerinnen und Lehrer an Grundschulen entscheiden offenbar nicht nur aufgrund von Schulleistungen über die Empfehlung, die sie für die weiterführende Schule nach der vierten Klasse abgeben, sondern auch aufgrund der sozialen Herkunft der Kinder", erklärt Stefan Hradil, der Leiter des Forschungsprojekts an der Universität Mainz. Sein Team hatte mehr als zweitausend Grundschüler befragt und ihre Angaben mit dem Sozialstatus ihrer Eltern abgeglichen. Das Forschungsprojekt entstand in Zusammenarbeit mit dem Amt für soziale Arbeit der Stadt Wiesbaden.
Insgesamt erhalten Kinder aus den oberen sozialen Schichten zu 81 Prozent eine Gymnasialempfehlung, aber nur 14 Prozent der Kinder mit niedrigem sozialen Hintergrund. Dieser beträchtliche Unterschied könnte noch mit dem unterschiedlichen Engagement der Eltern für die Bildung ihrer Kinder erklärt werden: Kinder aus so genannten Unterschichtshaushalten erhalten zuhause meist weniger Förderung und Anregung. Dadurch zeigen sie insgesamt schlechtere Schulleistungen als Kinder aus der oberen sozialen Schicht.
Betrachtet man jedoch ausschließlich Kinder mit der Durchschnittsnote 2,0, dann treten die Vorbehalte gegen die schlechter gestellten Kinder deutlich zutage. Stammen sie aus der niedrigsten Bildungs- und Einkommensgruppe, erhalten sie mit einer Wahrscheinlichkeit von 76 Prozent eine Gymnasialempfehlung. In der höchsten Bildungs- und Einkommensgruppe bekommen dagegen nahezu alle Kinder, nämlich 97 Prozent, eine Empfehlung für das Gymnasium. Und es gilt auch die Umkehrung: Ist ein Kind aus den oberen sozialen Schichten so leistungsschwach wie ein Kind aus den unteren, dann bleibt es dennoch seltener auf der Hauptschule. Bei sozial sehr gut gestellten Kindern, so die Autoren der Studie, kommt eine Hauptschulempfehlung so gut wie gar nicht vor.
Der Migrationshintergrund erwies sich bei der Fragen nach Chancengleichheit als zweitrangig. Kinder ohne Migrationshintergrund erhalten insgesamt zu 66 Prozent eine Gymnasialempfehlung, Kinder mit Migrationshintergrund dagegen nur zu 50 Prozent. Kinder mit Migrationshintergrund haben also schlechtere Bildungschancen als deutsche Kinder. "Dieser Abstand lässt sich aber nahezu vollständig auf die schlechtere Einkommens- und Bildungsposition der betroffenen Haushalte mit Migrationshintergrund zurückführen. Die schlechteren Bildungschancen von Migranten sind also letztlich ein 'Unterschichtungsphänomen'", sagen Hradil und Kollegen.