Kein Lerneffekt: Vögel im Straßenverkehr

Gewöhnung an schnell vorbeifahrende Autos führt nicht dazu, dass das Kollisionsrisiko sinkt
Vögel lernen schnell, dass vorbeifahrende Fahrzeuge ungefährlich sind, tödliche Kollisionen verhindert das aber nicht.
Vögel lernen schnell, dass vorbeifahrende Fahrzeuge ungefährlich sind, tödliche Kollisionen verhindert das aber nicht.
© Shutterstock, Bild 43555030
Sandusky (USA) - Der Lebensraum vieler Vögel ist von stark befahrenen Straßen durchzogen. Lernen die Tiere mit der Zeit, Zusammenstöße mit Kraftfahrzeugen zu vermeiden, indem sie sich bei herannahender Gefahr rechtzeitig in Sicherheit bringen? Dieser Frage sind jetzt amerikanische Biologen nachgegangen. Sie untersuchten das Fluchtverhalten von erfahrenen und unerfahrenen Tauben bei einer drohenden Kollision. Die Vögel lernen offenbar, dass vorbeifahrende Autos ungefährlich sind: Solche Fahrzeuge lösen keine Fluchtreaktion aus. Das hat allerdings zur Folge, dass die Tiere auch dann, wenn sich ein Fahrzeug frontal nähert, später die Flucht ergreifen als unerfahrene Tauben, schreiben die Forscher im „Journal of Zoology“. Das Risiko eines tödlichen Zusammenstoßes sinkt also durch Gewöhnung an den Straßenverkehr nicht.

„Wie unsere Studie zeigt, könnte die Gewöhnung an vorbeifahrende Autos dazu führen, dass Vögel häufiger mit schnellen Fahrzeugen zusammenstoßen“, sagt Travis DeVault vom National Wildlife Research Center in Sandusky. Sein Forscherteam wollte herausfinden, ob sich bei Vögeln die Fluchtdistanz gegenüber schnell fahrenden Autos durch Gewöhnung an den Straßenverkehr verändert. Die Fluchtdistanz ist die Entfernung, die von einem bedrohlichen Lebewesen – in diesem Fall ersetzt durch ein Kraftfahrzeug – unterschritten werden muss, um das angeborene Fluchtverhalten auszulösen. Für ihre Experimente setzten die Biologen drei Gruppen von Felsentauben (Columba livia) ein, die bisher noch keinerlei Erfahrungen mit Autos gemacht hatten. In der Trainingsphase wurden jeweils 35 Vögel in Käfigen an den Rand einer Straße platziert. Im Abstand von etwa zwei Metern fuhr dann ein Versuchsfahrzeug entweder mit 60 oder mit 120 Kilometern pro Stunde mehrmals daran vorbei. Bei zwei Gruppen war dies für die Tiere sichtbar, die dritte diente als Kontrolle und hatte keinen Sichtkontakt zur Straße. Innerhalb von vier Wochen erlebten die Tauben insgesamt 32 solcher Vorbeifahrten, auf die sie meist keine Reaktion erkennen ließen. In separaten Experimenten ermittelten die Forscher, dass eine Taube knapp eine Sekunde braucht, um sich von der Straße in Sicherheit zu bringen.

Schließlich dokumentierten sie das Fluchtverhalten jedes Tieres bei einem drohenden Zusammenstoß. Dazu simulierten sie mit Hilfe von Videofilmen, dass ein Auto mit einer Geschwindigkeit von 120 oder 240 Kilometern pro Stunde frontal auf die Taube zufährt und berechneten die virtuelle Entfernung, die den Vogel zur Flucht veranlasste. Bei den unerfahrenen Kontrolltieren, die noch nie ein fahrendes Auto gesehen hatten, war die Fluchtdistanz mit 14 bis 15 Metern größer als bei den Tauben der anderen beiden Gruppen, für die 6 bis 11 Meter gemessen wurden. Das Training mit den vorbeifahrenden Autos hatte also bewirkt, dass die Vögel erst später die Flucht ergriffen. Dieselbe Gewöhnung an den Straßenverkehr im realen Leben könnte demnach das Kollisionsrisiko erhöhen. Aber auch wenn sich die unerfahrenen Tauben schneller vor herannahenden Fahrzeugen in Sicherheit brachten: In den virtuellen Situationen ist es auch diesen Vögeln nicht gelungen, die Straße noch rechtzeitig vor einer Kollision zu verlassen, wenn sich ein Auto im Film mit 120 Kilometern pro Stunde näherte. Man müsse nun über neue Strategien nachdenken, so die Forscher, wie die Fluchtreaktion von Vögeln verstärkt und so die Zahl der im Straßenverkehr getöteten Tiere verringert werden kann.

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