Jugend von heute: Doch keine egoistischen faulen Säcke

Umfangreiche Langzeitstudie zeigt: Jugendliche sind heute nicht egozentrischer, fauler oder unpolitischer als vor 30 Jahren. Vergleichbar zufrieden, nur etwas zynischer und misstrauischer - wie der Rest der Gesellschaft.
East Lansing (USA) - Rücksichtslos, egoistisch, faul: typische Eigenschaften der heutigen Jugend, so behaupten Lehrer, Eltern und Sozialkommentatoren. Doch betrachtet man statt kleiner Gruppen knapp eine halbe Million von Jugendlichen über Jahrzehnte hinweg, dann zeigt sich: Die angebliche "Generation Ich" unterscheidet sich nicht groß von den Jugendlichen der 1970er Jahre. Sie ist zwar etwas misstrauischer und zynischer als damals, berichten Psychologen aus den USA und Kanada - doch nur im gleichen Maße wie der Rest der Gesellschaft. Weder bei Werten wie Selbstwertgefühl oder Hoffnungslosigkeit fanden die Forscher große Unterschiede zwischen den Generationen von 1976 und 2006, noch beim Sozialverhalten, bei politischer Aktivität oder der Bedeutung von Religion und Sozialstatus. Insgesamt fürchteten die Jugendlichen heute weniger allgemeine Gesellschaftsprobleme und hätten höhere Erwartungen an Bildung, schreiben die Forscher in den "Perspectives on Psychological Science". Und zitieren den altgriechischen Philosophen Sokrates mit: "Kinder von heute sind Tyrannen. Sie widersprechen ihren Eltern, schlingen ihr Essen herunter und tyrannisieren ihre Lehrer".

Viele Menschen dürften erstaunt sein, erklärt der Psychologe Brent Donnellan von der Michigan State University, da sie frühere Studien widerlegen, welche die heutige Jugend als selbstsüchtige Gammler mit extrem hohem Selbstbewusstsein zeigten. Doch "wir zogen den Schluss, dass Kids heutzutage in den meisten Fällen ungefähr genau so sind wie damals in der Mitte der 1970er Jahre", so Donnellan. Gemeinsam mit Kali Trzesniewski von der kanadischen University of Western Ontario hatte er die Daten einer Langzeit-Kohortenstudie von Highschool-Schülern analysiert. Zwischen 1976 und 2006 hatte die "Monitoring the Future"-Erhebung jährlich die Verhaltensweisen, Einstellungen und Werte US-amerikanischer Schüler gesammelt, insgesamt von 477.380 Personen. Andere Studien hingegen bezögen sich auf relativ kleine Gruppen von Jugendlichen. Verglichen hatten Donnellan und Trzesniewski die Bereiche Egoismus, Selbsterhöhung, Individualismus, Hoffnungslosigkeit, Glücksgefühl, Zufriedenheit mit dem Leben, Einsamkeit, Kontrollüberzeugung, Antisoziales Verhalten, Zeitaufwand für Arbeiten und fürs Fernsehen, Politische Aktivität, die Bedeutung sozialen Status' sowie die Bedeutung von Religion. Unkommentiert bleibt, ob die Ergebnisse auch auf Europas Jugend übertragbar sind. Allerdings lassen vergleichbare Erfahrungen und Klagen der Erwachsenen im gesamten westlichen Kulturkreis dies vermuten.

Kernergebnisse der Analyse: Teenager heute sind nicht egoistischer, aber ebenso glücklich und zufrieden, wie frühere Generationen. Leichte Veränderungen hat es gegeben, berichtet das Team, so habe die Jugend heute höhere Erwartungen an Bildung und zeige sich weniger betroffen von allgemeinen Sozialproblemen wie Rassendiskriminierung, Hunger oder Armut. Außerdem sei sie zynischer und traue Institutionen weniger als frühere Generationen - doch diese Tendenz finde sich auch in der gesamten Gesellschaft. Insgesamt lieferten die Daten kaum Beweise für starke oder weitverbreitete Veränderungen einer ganzen Altersgruppe. Die neue Generation rücksichtsloser Egoisten sei in den Daten nicht zu finden. Schlussendlich, so Donnellan, sei es wohl üblich für ältere Generationen, die Jugend im negativem Licht darzustellen: "Kids heute sind wie sie vor 30 Jahren waren - sie versuchen, ihren Platz in der Welt zu finden, eine Identität zu bilden, und das kann schwierig sein. Doch viele Studien zeigen, dass Stereotypen über alle Gruppen sehr viel überzeichneter sind als die Realität".

(c) Wissenschaft aktuell
Quelle: "Rethinking 'Generation Me': A Study of Cohort Effects From 1976–2006", Kali H. Trzesniewski1 & M. Brent Donnellan; Perspectives on Psychological Science, vol 5(1), s 58–75; DOI: 10.1177/1745691609356789


 

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