Ionisierende Strahlung beeinflusst das Geschlecht von Babys

Auswirkungen von Atombombentests, des Reaktorunfalls in Tschernobyl und des Lebens in der Nähe von Atomkraftwerken untersucht
München - Strahlung radioaktiver Stoffe hat auch in kleineren Mengen Auswirkungen auf die Gene des Menschen und die Geburtenstatistik. Das ist das Ergebnis einer Münchner Studie, die den Einfluss dieser ionisierenden Strahlung auf das Geschlechterverhältnis untersucht hat. Demnach werden beispielsweise als Folge von Atomtests oder -unfällen verhältnismäßig mehr männliche Säuglinge geboren. Diesen Effekt konnten die Forscher in ihrer umfassenden Analyse erstmals belegen, wie sie im Fachjournal "Environmental Science and Pollution Research" (doi: 10.1007/s11356-011-0462-z) berichten. Allerdings ist unklar, ob der Effekt darauf zurückzuführen ist, dass weniger Mädchen zur Welt kommen, oder ob die Zahl der Jungen-Geburten zunimmt.

"Unsere Ergebnisse entkräften die etablierte und vorherrschende Meinung, dass erbgutschädigende Effekte ionisierender Strahlung bei Menschen erst noch nachgewiesen werden müssten. Wir haben deutliche Hinweise für die vermehrte Beeinträchtigung des menschlichen Gen-Pools gefunden", lautet die Schlussfolgerung von Hagen Scherb und Kristina Voigt vom Institut für Biomathematik und Biometrie des Helmholtz-Zentrums München. Die Wissenschaftler hatten die Auswirkungen der Atombombentests vor dem Atomteststoppvertrag im Jahr 1963, des Reaktorunfalls in Tschernobyl und des Lebens in der Nähe von Atomkraftwerken analysiert.

Auch schwache Strahlung wirkt sich aus

Die Analyse zeigte in allen drei Fällen einen deutlichen Langzeiteinfluss auf das Geschlechterverhältnis: So sei die Zunahme von männlichen gegenüber weiblichen Babys in Europa und den USA im Zeitraum von 1964 bis 1975 wahrscheinlich auf den weltweit verteilten Fallout aus Atombombentests zurückzuführen, durch welchen - zeitversetzt - ein Großteil der Weltbevölkerung betroffen war. 1987 wiederum, ein Jahr nach dem Unfall von Tschernobyl, gab es in Europa einen signifikanten Sprung beim Geschlechterverhältnis, wobei in den durch den Unfall weniger belasteten USA kein vergleichbarer Effekt beobachtet wurde. Und auch bei der Bevölkerung in Deutschland und der Schweiz, die in einem Umkreis von 35 Kilometern von Atomkraftwerken lebt, ist das Geschlechterverhältnis der Geburten während der Laufzeiten deutlich verschoben.

Die Forscher sind sich sicher: In der Gesamtbetrachtung zeigen diese Ergebnisse einen dosisabhängigen Langzeiteffekt radioaktiver Exposition auf das Geschlechterverhältnis bei Geburten. Allerdings müsse noch die tiefere Ursache für die Zunahme der Zahl männlicher Neugeborener im Verhältnis zu weiblichen Neugeborenen geklärt werden. Eine geringere Häufigkeit weiblicher Geburten sei ebenso möglich wie eine Zunahme männlicher Geburten.

Ionisierende Strahlung aus Kernspaltungsprozessen ist bekannt für ihre mutagenen Eigenschaften, die das Erbgut direkt verändern können. Die Autoren vermuten, dass auch niedrig dosierte Strahlung weltweit den Ausgang von Schwangerschaften millionenfach beeinflusst. Ein Teil davon ende sogar in Totgeburten oder Behinderungen der Kinder.

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Quelle: "The human sex odds at birth after the atmospheric atomic bomb tests, after Chernobyl, and in the vicinity of nuclear facilities", H. Scherb & K. Voigt; Environmental Science and Pollution Research; doi: 10.1007/s11356-011-0462-z


 

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