Industrieabgase lassen es schneien
Velle Toll von der estnischen Universität in Tartu betrachtete gemeinsam mit Forschenden aus Europa, den USA und Kanada die Abgase von 67 Industrieanlagen in Russland und Kanada. Mit Infrarot-Spektrometern an Bord der Nasa-Satelliten Terra und Aqua konnten sie die Bildung von Eiskritallen in den Abgasschwaden dieser Anlagen – vor allem Zementwerke, Stahl- und Kupferhütten und Kohlekraftwerke – beobachten. Im Zeitraum zwischen 2000 und 2021 ließ sich vor allem in den kalten Monaten zwischen November und Februar ein ungewöhnlicher Schneefall bei den meisten Anlagen nachweisen.
Der Schneefall von bis zu 15 Millimeter pro Tag erstreckte sich über Dutzende Kilometer entlang der Abgasfahne der Industrieanlagen. Dabei wehten feuchte, noch unverschmutzte Wolken über die Anlagen. Gelangten mit den Abgasen Partikel aus Metalloxiden, Sulfaten oder Silikate in diese Wolken, ballten sich Wassermoleküle an diese als Kondensationskeime wirkenden Partikel an. Bei kalten Temperaturen zwischen minus zehn und minus 24 Grad Celsius bildeten sich immer größere Eiskristalle, die dann als Schneeflocken zum Boden fielen.
Parallel zu diesem frostigen Niederschlag lösten sich die Wolken entlang der Abgasschwaden etwas auf und die Wolkendichte nahm um gut acht Prozent ab. Zur Überraschung der Forschenden bildete sich auch in den feuchten, aber wenig verschmutzten Abgasen von vier Kernkraftwerken Industrieschnee. Da mit diesen Abgasen nur wenige Kondensationskeime in die Atmosphäre gelangten, vermuten Velle Toll bisher noch nicht beachtete Prozesse für die Bildung von Eiskristallen und Schneeflocken. Vom Wind aufgewirbelte Partikel aus der Umgebung um die Industrieanlagen könnten dabei eine Rolle spielen. Weitere Untersuchungen sollen folgen, um diese Wissenslücke zu schließen.
Diese Studie liefert neue Hinweise, um die Entwicklung von Niederschlägen und Wolken in der Nähe von Industrieanlagen besser zu verstehen. Damit könnten sowohl lokale Wettervorhersagen optimiert als auch der Einfluss der Wolken auf UV- und Infrarotstrahlung genauer analysiert werden.