Immunabwehr kann Grippeinfektion verschlimmern

Die H1N1-Grippepandemie von 2009 forderte wahrscheinlich deshalb ungewöhnlich viele Todesopfer unter jungen Erwachsenen, weil deren Immunabwehr überreagierte
Nashville (USA) - Die alljährliche saisonale Grippewelle trifft alte Menschen und Kinder besonders schwer. Warum dagegen durch die H1N1-Grippepandemie von 2009 hauptsächlich Menschen mittleren Alters starben, blieb bisher ein Rätsel. Jetzt liefern amerikanische und argentinische Forscher eine mögliche Erklärung: Jüngere Erwachsene besaßen Antikörper, die sich zwar an die Grippeviren anlagerten, ohne aber die Infektion blockieren zu können. Die Immunkomplexe lösten überschießende Abwehrreaktionen aus, die das Lungengewebe stark schädigten. Hinweise darauf fanden sich auch in aufbewahrten Gewebeproben von Opfern der H2N2-Grippepandemie von 1957. Aus den neuen Befunden könnten sich Möglichkeiten ergeben, den Krankheitsverlauf bei anfälligen Personen abzumildern, schreiben die Mediziner im Fachjournal "Nature Medicine".

"Unsere Ergebnisse zeigen einen bisher unbekannten biologischen Mechanismus, der die ungewöhnliche Altersverteilung von schweren Fällen während Influenza-Pandemien erklärt", berichten Fernando Polack von der Vanderbilt University in Nashville und seine Kollegen. An der normalen Grippe sterben hauptsächlich Kinder und alte Menschen, weil deren Immunsystem noch nicht voll entwickelt bzw. bereits geschwächt ist. Während der Pandemie von 2009 waren aber die 17- bis 57-Jährigen besonders stark betroffen. Die Forscher konnten bei Todesopfern dieser Altersgruppe einen stark erhöhten Spiegel des Proteins C4d im Lungengewebe nachweisen. Das spricht für eine massive Aktivierung des Komplementsystems. C4d ist eines der mehr als 20 Plasmaproteine des Komplementsystems. "Cd4 ist Teil einer Entzündungskaskade, die uns vor Infektionen schützt, indem die Erreger abgetötet werden. Aber dabei kann es auch zu starken Gewebeschäden kommen", sagt Joyce Johnson, ein Mitglied des Forschungsteams.

Weitere Untersuchungen bestätigten, dass die Erkrankten Antikörper besaßen, die bei früheren Grippeinfektionen oder nach Impfungen gebildet worden waren. Diese konnten zwar das H1N1-Virus nicht inaktivieren, lagerten sich aber an Virusproteine an und aktivierten damit das Komplementsystem. Auch in Lungengewebsproben von vier an der H2N2-Pandemie von 1957 Verstorbenen fanden die Forscher noch Hinweise auf solche Immunkomplexe. Bei Kindern kommt es deshalb nicht zu derartigen Komplikationen, weil noch keine Grippe-Antikörper vorhanden sind. Für alte Menschen besteht weniger Gefahr, weil sie bereits über schützende Antikörper verfügen. Die jetzt vorgeschlagene Erklärung stimmt besser mit den Befunden überein als andere Theorien, wonach zusätzliche Entzündungsreaktionen, eine starke Virusvermehrung oder bakterielle Superinfektionen eine wichtige Rolle spielen sollen. Die Forscher hoffen, Therapien entwickeln zu können, die die Bildung der bedrohlichen Immunkomplexe bei einer Grippeinfektion verhindern. Bis dahin bietet nur ein Impfstoff Schutz, der gegen den speziellen Virustyp hergestellt wurde.

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Quelle: "Severe pandemic 2009 H1N1 influenza disease due to pathogenic immune complexes", Ana Clara Monsalvo et al.; Nature Medicine, Online-Publikation, DOI: 10.1038/nm.2262


 

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