Hirnforschung: Panik ohne funktionstüchtiges Furchtzentrum möglich

Einatmen von Kohlendioxid kann Furcht und Panik auslösen, auch wenn die Amygdala geschädigt ist, die essenziell am Entstehen dieser Gefühle beteiligt ist
Kernspinaufnahmen zeigen die geschädigte Amygdala der Patientinnen „SM“, „AM“ und „BG“ im Vergleich zum gesunden Gehirn
Kernspinaufnahmen zeigen die geschädigte Amygdala der Patientinnen „SM“, „AM“ und „BG“ im Vergleich zum gesunden Gehirn
© Iowa Neurological Patient Registry, University of Iowa
Iowa City (USA) - Am Empfinden von Furcht und Panik ist ein kleiner Hirnbereich zentral beteiligt – die Amygdala. Bisher galt die Annahme, das Aufkommen dieser negativen Empfindungen sei nicht möglich, wenn die Funktion dieses Areals im sogenannten Limbischen System gestört ist. Doch nun zeigt eine kleine Fallstudie an drei Patientinnen mit einer seltenen Schädigung, dass Furcht und Panik auch ohne eine funktionstüchtige Amygdala empfunden werden können: Diese Angstgefühle waren den drei Probanden völlig fremd; normalerweise angstauslösende Ereignisse berühren sie nicht emotional. Doch Atemnot durch das Einatmen von stark mit Kohlendioxid angereicherter Luft konnte die Gefühle sehr wohl auslösen, berichten US-Forscher im Fachblatt „Nature Neuroscience“. Die Wissenschaftler vermuten, dass ein entscheidender Unterschied besteht zwischen externen Reizen, die im Alltag erlebt werden und von außen auf jemanden eindringen, und internen Reizen wie dem Einatmen von Kohlendioxid, das innere Mechanismen im Organismus in Gang setzt.

„Diese Ergebnisse legen nahe, dass die Amygdala für Furcht und Panik nicht erforderlich ist“, schreiben John Wemmie von der University of Iowa in Iowa City und seine Kollegen. „Sie machen einen wichtigen Unterschied zwischen durch äußere Bedrohungen aus der Umwelt ausgelöster Furcht im Gegensatz zu Furcht, die intern durch Kohlendioxid ausgelöst wird.“ Frühere Untersuchungen hatten nahe gelegt, dass Menschen, deren Amygdala aufgrund einer seltenen genetisch bedingten Erkrankung namens Urbach-Wiethe-Syndrom geschädigt ist, keinerlei Furchtempfinden besitzen. Selbst lebensbedrohliche, traumatische Situationen vermögen es nicht, Gefühle wie Furcht, Angst oder gar Panik auszulösen. Auch sind die Betroffenen nicht in der Lage, entsprechende Gesichtsausdrücke zu erkennen. In ihren Experimenten mit drei Patientinnen („SM“, „AM“ und „BG“) mit einer solchen Schädigung der Amygdala testeten Wemmie und seine Kollegen, was das Einatmen von mit Kohlendioxid angereicherter Luft bewirkt. Das Gas regt die Atmung an und kann Gefühle von Atemnot und Furcht erwecken, insbesondere bei Patienten mit Panikstörungen auch Panikattacken.

Tatsächlich konnten die Forscher mit der Prozedur bei allen drei Patienten nicht nur Furcht, sondern sogar Panikattacken auslösen, was für die Betroffenen völlig überraschend war. Für die Teilnehmerinnen SM war es das erste mal seit ihrer Kindheit, dass sie diese Gefühle erlebte. Bei gesunden Vergleichspersonen dagegen traten Panikattacken deutlich seltener auf. Die Amygdala wird demnach nicht benötigt, um Furcht und Panik auszulösen, die durch das Einatmen von Kohlendioxid hervorgerufen wird, schließen Feinstein und Kollegen aus ihren Beobachtungen. Aufgrund der Tatsache, dass Patienten mit einer Schädigung dieses Hirnareals dabei sogar häufiger eine Panikattacke erleben, nimmt das Team außerdem an, dass eine intakte Amygdala helfen kann, eine Panik zu verhindern.

Warum Kohlendioxid Furcht und Panik ohne eine funktionstüchtige Amygdala verursachen kann, während andere Reize das nicht vermögen, können die Forscher nicht eindeutig erklären. Sie halten etwa für möglich, dass furchtauslösende Impulse natürlicherweise in der Außenwelt wahrgenommen werden und damit hauptsächlich über äußere Signalwege wie Sehen und Hören wahrgenommen und von dort weiterverarbeitet werden. Dagegen wirkt Kohlendioxid im Inneren des Körpers auf bestimmte Chemorezeptoren, ruft so eine Reihe physiologischer Veränderungen hervor und ist damit ein interner Faktor.

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