Hart und biegsam: Schwamm-Skelett als Vorbild für neue Materialien

Deutsche Forscher übertragen selbstorganisierende Kristallisation bei Meeresschwämmen auf künstliche Kalzit-Fasern und erhalten flexibles dünnes Biomineral
Die synthetischen Skelettnadeln ähneln grob einem Gummistab, der von harten Nanokristallen  bedeckt und durchsetzt ist - hier eine Illustration und die Detailansicht im normalen (links) und gedehnten (rechts) Zustand.
Die synthetischen Skelettnadeln ähneln grob einem Gummistab, der von harten Nanokristallen bedeckt und durchsetzt ist - hier eine Illustration und die Detailansicht im normalen (links) und gedehnten (rechts) Zustand.
© Natalio/Universität Mainz
Mainz/Halle - Damit Meeresschwämme nicht schlaff in sich zusammensinken, enthält ihr Körper harte Skelettnadeln als Stützelemente. Bei manchen Arten dienen diese sogenannten Spicula obendrein dazu, als Stacheln mögliche Fressfeinde abzuwehren. Jetzt hat ihre Kombination aus Härte und Flexibilität ein deutsches Forscherteam zum Nachbau inspiriert. Wie in der Natur ließen die Wissenschaftler Proteine für sich arbeiten, um harte Nanokristalle gezielt zu den nur Millimeter langen, harten Stäbchen anzuordnen. Weil die Proteine zahlreich eingebettet bleiben, entstehen biegsame Nadeln oder Fasern, die aus dem Labor sogar noch dreimal robuster sind als aus dem Meer, schreibt das Team im Fachblatt „Science“. Obendrein streuen die transparenten Stäbchen Röntgenlicht und leiten – sogar im gebogenen Zustand – sichtbares Licht, so dass sie sich auch zum Einsatz in der modernen Wellenoptik eignen. Und die Materialforschung verfügt nun über eine neue Methode, harte und brüchige Nanokeramik mit weichen Biopolymeren zu leichtgewichtigen und bruchfesteren Werkstoffen zu kombinieren.

„Die sich selbst anordnenden Spicula von 10 bis 300 Mikrometern Länge und 5 bis 10 Mikrometern Durchmesser bestehen aus ausgerichteten Kalzit-Nanokristallen“, schreiben die Chemiker um Filipe Natalio von der Universität Halle-Wittenberg und Wolfgang Tremel von der Universität Mainz. „Ursprünglich sind sie unkristallisiert, aber innerhalb von Monaten wandeln sie sich zu Kalzit.“ Gemeinsam mit Kollegen des Max Planck-Instituts für Polymerforschung in Mainz hatten Natalio und Tremel die Skelettnadeln in Kalkschwämmen vom Sycon-Typ näher untersucht. Wie bei Knochen, Muschelschalen oder Zähnen entstehen sie durch Biomineralisierung: Organische Moleküle wie Proteine fügen anorganische, eigentlich spröde Rohstoffe wie Silikate oder Karbonate zusammen, damit diese eine harte Oberfläche bilden. Diese ist relativ bruchstabil, weil Risse im kleinteiligen, unperfekten Zusammenbau schnell ins Leere laufen. Bei Schwämmen ist etwa das Protein Silicatein-α für das Wachstum von Mineralnadeln zuständig. Bei den sogenannten Kieselschwämmen konstruiert es Silikat-Nadeln in spezialisierten Zellen – die Proteine binden gelöstes Silikat und ordnen sich mit dieser Ladung in mehreren Schichten selbstständig um eine zentrale Achse an. So formen sie Stäbchen aus Silikatschichten, die allerdings nicht kristallisieren. In Kalkschwämmen hingegen entstehen durch Kristallisierung von Karbonat starre, unterschiedlich geformte Kalzit-Einkristalle, allerdings offenbar auch mit einigen integrierten Proteinresten.

Das Forscherteam kombinierte nun beide Varianten – das Anordnen zu Stäbchen und das Kristallisieren – und erreichte noch robustere Mineralnadeln. Es versah Silicatein-α-Moleküle statt mit Silikaten (SiO2) als Baustoff mit Kalziumkarbonaten (CaCO3). In passender Laborumgebung arrangierten sich die Makromoleküle samt Ladung innerhalb einer Stunde tatsächlich zu den erwarteten gleichförmigen runden Stäbchen – äußerlich kaum von natürlichen Silikat-Nadeln zu unterscheiden, wie Bilder eines Rasterelektronenmikroskops bestätigten. Der Kalzit an ihrer Oberfläche war allerdings noch amorph – erst nach einer Reifezeit von rund sechs Monaten waren benachbarte Partikel schließlich zu starren Kalzit-Nanokristallen verbunden. Die zwischen ihnen nach wie vor eingebetteten Proteinmoleküle sorgten dabei für Flexibilität, absorbierten Belastungen und stoppten Risse.

Eine eigens entwickelte Messmethode zeigte, dass die synthetischen Nadeln zehn bis 16 Prozent organische Moleküle enthalten, ähnlich einem Gummistab, der von hartem Kristallmosaik bedeckt und durchsetzt ist. Deshalb ist die künstliche Variante der Schwamm-Nadeln dreimal biegsamer und bruchfester als ihr Vorbild, schreiben Natalio und Kollegen: „Die organischen Makromoleküle spielen eine Schlüsselrolle: Sie stabilisieren die Übergangsphase, beeinflussen die Form und überwinden die ursprüngliche Brüchigkeit der kristallinen Phase.“ Gerade die Biegsamkeit macht die neuen Nadeln neben anderen Einsatzfeldern nun auch als Lichtleiter für die Faseroptik interessant. Allerdings müssen sie dazu noch von kurzen Stäbchen zu langen Fasern weiterentwickelt werden.

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