Gezähmte Wildseide

Behandlung mit Säure ermöglicht schonendes Abwickeln und ebnet den Weg zur wirtschaftlichen Seidenproduktion auch in Afrika, Zentralasien und Südamerika
Die Kokons von Zuchtseidenraupen vor dem Schlüpfen - wie bei den wild lebenden Raupen in einem einzigen langen Faden immer um den Körper herum gesponnen...
Die Kokons von Zuchtseidenraupen vor dem Schlüpfen - wie bei den wild lebenden Raupen in einem einzigen langen Faden immer um den Körper herum gesponnen...
© D.Saße
Oxford (Großbritannien)/Nairobi (Kenia) - Die Seide wilder Seidenraupen ist künftig viel leichter und in besserer Qualität zu gewinnen als bisher. Möglich macht dies eine Tauchbehandlung, die britische Forscher erfolgreich getestet haben. Damit gelang es ihnen, die Mineralkristalle zu entfernen, welche wilde Seidenraupen zwischen den Fasern ihrer Kokons einlagern. Diese harten Krusten schädigen nicht nur die Fasern, sie sind auch der Grund dafür, dass Wildseide sich im Gegensatz zur klassischen Maulbeerseide schwerer gewinnen lässt. Die neue Methode, ein sogenanntes Demineralisieren, das die Forscher im Fachblatt "Biomacromolecules" (doi: 10.1021/bm2003362) beschreiben, könnte den weltweiten Seidenmarkt umkrempeln. So ließe sich Seide von unterschiedlichsten Seidenspinner-Arten ernten, in guter Qualität und mit wirtschaftlichem Erfolg. Seidenproduktion wäre damit auch außerhalb der klassischen Produktionsländer möglich.

"Dies hat das Potenzial für eine 'Wildseide-Revolution' in Gegenden wie Afrika und Südamerika, wo wilde Seide reichlich vorhanden ist", erklärt Fritz Vollrath, Professor für Zoologie an der Oxford University. Der von seinem Team entwickelte Demineralisierungsprozess macht es erstmals möglich, aus wilden Kokons lange Endlosfasern aus Seide zu erzeugen. Solche Kokons bleiben an Sträuchern und Bäumen zurück, wenn die Raupen der verschiedenen Seidenspinner-Arten als Schmetterlinge geschlüpft sind. Bislang gelten sie eher als schädlich, denn Ziegen und Rinder halten sie für Früchte - unverdaulich bleiben sie im Magen hängen und verstopfen ihn mit der Zeit. Immerhin basteln manche EInheimischen daraus Spielzeug und Souveniers. Und im kleinen Rahmen versuchen einige Kooperativen, die Seidenfasern zu gewinnen und zu verarbeiten - auf bislang mehr oder weniger mühsame Weise.

Störende Zusätze entfernen

Recht einfach ist das Ernten der Fasern bei den Kokons der in China, Japan und Indien im großen Maßstab gezüchteten Maulbeer-Seidenmotte (Bombyx mori). Sie enthalten keine störenden Mineralkrusten aus Kalzium, bei ihnen gilt es nur, die Schichten des Eiweißes Sericin zu entfernen, das die Seidenfasern schützend umhüllt. Nach Kochen in heißem Wasser lässt sich der Seidenfaden in einem langen Stück einfach abrollen. Bei der Wildseide hingegen nutzt man bisher einen aufwändigen Reinigungsprozess, der unter anderem Enzyme im Ananassaft nutzt, um das Sericin und die Krusten zu lösen, und dann die Fasern aus den Kokons durch Kämmen herauszieht. Dabei wird die Seide angegriffen und meist in relativ kurze Stücke zerkleinert, so dass daraus nur ungleichmäßigere und weniger belastbare Seidengewebe zu fertigen sind.

Anders bei Vollraths neuer Methode: Bei den Testläufen hatte sein Team Unterstützung von Chemikern der University of Bristol und Kollegen des Commercial Insects Program am International Center of Insect Physiology and Ecology in Kenia. Die Forscher legten Kokons einer weit verbreiteten wilden Seidenraupenart (Gonometa postica) in eine warme Flüssigkeit aus EDTA (Ethylendiamintetraessigsäure). Dies löste die harten Verkrustungen, griff aber nicht die Seide selbst an. Die Wildseide ließ sich wie Zuchtseide ohne Schaden in langen Fasern vom Kokon abwickeln. Der Erfolg zeigte sich auch unter hochauflösenden Mikroskopen, bekräftigt Vollrath: "So lässt sich eine Wildseide hoher Qualität zu produzieren, die ein Gegenstück zur Zuchtform sein könnte."

(c) Wissenschaft aktuell
Quelle: "Demineralization enables reeling of Wild Silkmoth cocoons", Tom Gheysens, Fritz Vollrath et al.; Biomacromolecules, doi 10.1021/bm2003362


 

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