Gewaltbereite Jugendgangs auch in der "guten alten Zeit"
"Insgesamt waren die Manchester-Gangs motiviert durch die Lust an Kampf und durch den Status, den sie dadurch bekamen", schreibt Andrew Davies von der University of Liverpool. "In Liverpool hingegen, wo die Jugendarbeitslosigkeit sehr viel höher war als in Manchester, bildeten sich eher Gangs heraus, die auf Raubzüge in den Straßen aus waren. Territoriale Kämpfe wie bei den Manchester-Gangs gab es hier offenbar seltener." Davies brauchte rund 15 Jahre, um die weit verstreuten Archivmaterialien ab rund 1870 zusammenzutragen: "Durch das Zusammenfügen von Presseberichten, Gefängnisberichten, Polizei- und Gerichtsprotokollen erhalten wir ein reales Bild von dem Leben, wie es sich für junge Leute darstellte, die das neue, jetzt obligatorische Schulsystem durchliefen und dann zur Arbeit in die Fabriken gingen."
Meist ging es bei den Kämpfen zwischen verfeindeten Jugendgangs, die auch mit Waffen wie Messern ausgetragen wurden, um territoriale Gewinne. Die wichtigsten Territorien waren dabei die "Music Halls", die man sich als Vorläufer der heutigen Discos vorstellen kann. Die Herrschaft über eine Music Hall zu gewinnen, war eines der wichtigsten Ziele der Jugendgangs. Jede Gang, zu der übrigens auch einige Mädchen gehörten, verstand sich dabei als ein starker Verband, der meistens auch einen identitätsstiftenden Namen hatte. Einer der bekanntesten Straßenkämpfer jener Zeit, William Brooks, gehörte etwa zu den Greengate Scuttlers. Manchmal orientierten sich die Jugendlichen in ihrer Namensgebung aber auch an Ländern, die gerade miteinander Krieg führten. So ließen sich manche Gangs in Manchester 1877-78 von dem damals gerade stattfindenden russisch-türkischen Krieg inspirieren und nannten sich "Russen" oder "Türken". In der Zeit des deutsch-französischen Krieges von 1870-71 nannten sich protestantische Gangs in Manchester "Preußen" und katholische Gangs "Franzosen". Ähnliche Erscheinungen von festen Gangs mit identitätsstiftenden Namen kenne man auch aus St. Petersburg und Paris um 1900, so Davies.
Der Zeitraum dieser Berichte ist als "Viktorianisches Zeitalter" benannt, weil Königin Viktorie ein Menschenalter lang, von 1837 bis 1901, das britische Empire regierte. Damals erlebte die dortige Mittel- und die Oberschicht eine wirtschaftliche Blüte, denn das Empire befand sich auf dem Höhepunkt seiner Macht. Allerdings machten Mittel- und Oberschicht zusammen nur etwa ein Drittel der Gesellschaft aus. Zwei Drittel der damaligen britischen Gesellschaft gehörten der Unterschicht an.