Gespensterfisch mit Doppelauge

Tübinger Biologen beschreiben bei Tiefseefisch neuartigen Augentyp mit Linsen- und Spiegeloptik
Schnitt durch die Spiegeloptik des Gespensterfischauges: rechts der Spiegel, links die Netzhaut, in hellblau der Strahlengang des von unten einfallenden Lichts
Schnitt durch die Spiegeloptik des Gespensterfischauges: rechts der Spiegel, links die Netzhaut, in hellblau der Strahlengang des von unten einfallenden Lichts
© Hans-Joachim Wagner
Tübingen - Dank einer raffinierten Kombination aus zwei optischen Systemen verbessert ein Tiefseefisch seine Sicht: Die Augen des Gespensterfischs Dolichpteryx longipes haben nicht nur eine nach oben gerichtete Linsenoptik, sondern zusätzlich eine Spiegeloptik, mit der die Tiere auch Bereiche unter sich wahrnehmen können. Diesen ungewöhnlichen Augentyp beschreiben Tübinger Anatomen im Fachblatt "Current Biology". Derartige abbildende Spiegelaugen waren bislang nur bei Wirbellosen bekannt, etwa von manchen Muschel-, Krebs- oder Hummerarten, nicht aber bei Wirbeltieren.

"Wir haben nicht nach dem Ding gesucht", erzählt Hans-Joachim Wagner von der Eberhard Karls Universität Tübingen. "Wir haben ein lebendes Tier gehabt, das auch schon beschrieben war - doch niemand hatte die Besonderheit dieses Auges erkannt." Mithilfe der Konstruktion passt sich der Tiefseefisch den schlechten Lichtbedingungen in seinem Lebensraum an: In die Tiefsee dringt keinerlei Tageslicht mehr. Einzige Lichtquelle ist die so genannte Biolumineszenz mancher Tiefseebewohner, bei der die Lebewesen mithilfe biochemischer Prozesse selbst ein Leuchten erzeugen. Dieses ist aber sehr schwach und das Problem einer Linsenoptik besteht darin, dass die Augen sehr groß sein müssen, um die Lichtausbeute zu erhöhen. Große Augen würden wiederum den gesamten Kopf vergrößern und damit auch den Wasserwiderstand beim Schwimmen. Als Kompromiss besitzen viele Tiefseefische so genannte Röhrenaugen, eine Art zylindrischen Ausschnitt eines gewöhnlichen, kugelförmigen Linsenauges. Sie benötigen weniger Platz, haben allerdings den Nachteil eines extrem eingeschränkten Sichtfeldes.

Diesen Nachteil gleicht Dolichpteryx longipes über eine Zusatzkonstruktion aus, haben Wagner und seine Kollegen aus Großbritannien und den USA bei den Gespensterfischen beobachtet. Neben der Linsenoptik des Röhrenauges besitzen die Augen des Tiefseefisches eine seitliche Ausstülpung mit einer nach unten gerichteten durchsichtigen Schutzschicht. Über eine Spiegelstruktur aus Guanin-Kristallen und eine gegenüberliegende Netzhaut können die Gespensterfische auch sehen, was unter ihnen vorgeht, und zum Beispiel einen Raubfisch rechtzeitig bemerken. Spiegelaugen sind prinzipiell lichtempfindlicher als Linsensysteme. Modelrechnungen auf der Basis mikroskopischer Untersuchungen der Augenkonstruktion von Dolichpteryx longipes ergaben, dass die Lichtausbeute des ergänzenden Spiegelsystems groß genug ist, um ein gut fokussiertes Bild zu erzeugen.

Current Biology
Quelle: "A novel vertebrate eye using both refractive and reflexive optics", Wagner, H.-J. et al.; Current Biology (doi:10.1016/j.cub.2008.11.061)


 

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