Genetische Anpassung: Als die Europäer sesshaft wurden

Mit dem Übergang von der Jäger-und-Sammler-Kultur zu Ackerbau und Viehzucht in Europa vor etwa 8500 Jahren kam es in der vorgeschichtlichen Bevölkerung zu speziellen Veränderungen im Erbgut
Veränderte Ernährung und Lebensweise von Jägern und Sammlern nach Einführung der Landwirtschaft führte zur Selektion veränderter Gene.
Veränderte Ernährung und Lebensweise von Jägern und Sammlern nach Einführung der Landwirtschaft führte zur Selektion veränderter Gene.
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Boston (USA) - Als in Europa aus Jägern und Sammlern Ackerbauern wurden, veränderte sich in Anpassung an die neue Lebensweise auch das Erbgut. Welche Gene davon betroffen waren, hat nun ein Team internationaler Forscher anhand menschlicher Knochen untersucht, die 2300 bis 8500 Jahre alt waren. Das lieferte erstmals einen direkten Einblick in den zeitlichen Verlauf der natürlichen Selektion in dieser Phase der Menschheitsgeschichte. Veränderte Gene führten unter anderem zur Fähigkeit, auch als Erwachsener Milch zu verwerten, verursachten eine hellere Hautfarbe und wirkten sich auf die Körpergröße aus, berichten die Wissenschaftler im Fachjournal „Nature“. Einige dieser Mutationen beeinflussten offenbar auch das Risiko für bestimmte Krankheiten. Vergleichende Erbgutanalysen bestätigten zudem, dass die ersten europäischen Bauern aus der heutigen Türkei eingewandert sind.

„Die Neolithische Revolution ist vielleicht der wichtigste Entwicklungsschritt in der Vorgeschichte des Menschen. Jetzt haben wir den Beweis dafür, dass tatsächlich Menschen aus Anatolien in Europa einwanderten und die Landwirtschaft mitbrachten“, sagt Ron Pinhasi vom University College Dublin, einer der drei leitenden Forscher. Das Forscherteam konnte durch DNA-Untersuchungen prähistorischer Leichenfunde zeigen, dass in und nach dieser Zeit des Übergangs eine genetische Selektion ablief. Die Knochen stammten von 230 Individuen aus Europa, Sibirien und der Türkei, die im Zeitraum zwischen 6500 und 300 v. Chr. gelebt hatten. Erstmals ist es auch gelungen, Genome von Skeletten zu analysieren, die im östlichen Mittelmeerraum gefunden worden waren. Wegen des warmen Klimas in dieser Region war es bisher nicht möglich gewesen, aus solchem Material gut erhaltene DNA zu entnehmen. Aber im extrem harten Knochengewebe des Felsenbeins – eines Schädelknochens, der das Innenohr umschließt – fanden die Forscher bei 26 Individuen nun doch DNA in hoher Qualität. Die Ausbeute war 700-mal höher als bei Zähnen.

Aus dem Vergleich der unterschiedlich alten prähistorischen DNA-Sequenzen mit Genomen heutiger Europäer ergaben sich zwölf Abschnitte im Erbgut, in denen sich Gene verändert hatten. Allerdings war nicht in jedem Fall erkennbar, mit welchen Auswirkungen diese Veränderungen verbunden waren. Deutlich nachvollziehbar war die Selektion der sogenannten Laktase-Persistenz. Sie bewirkt, dass das für die Verwertung von Milchzucker nötige Enzym Laktase auch im Erwachsenenalter weiter produziert wird, so dass Milch als Nahrungsmittel besser genutzt werden kann. Diese Mutation ist erst seit 4000 Jahren im Genom von Europäern stark verbreitet und stellt eine Anpassung an die Viehhaltung dar. Der älteste Knochenfund mit diesem genetischen Merkmal stammte von einem Menschen, der 2300 v. Chr in Zentraleuropa lebte.

Weitere Mutationen, die mit einer veränderten Ernährung zusammenhängen, betrafen den Vitamin D-Spiegel und die Höhe der Blutfettwerte. Zwei genetische Veränderungen, die möglicherweise vor einer Mangelernährung schützen, könnten als negativen Nebeneffekt ein erhöhtes Zöliakierisiko mit sich gebracht haben. Die Verbreitung von Genvarianten, die eine helle Hautfarbe und blaue Augen bewirken, nahm im untersuchten Zeitraum stark zu. Das enge Zusammenleben von Menschen und Haustieren verstärkte den Kontakt mit Krankheitserregern und setzte eine Selektion in Gang, die Gene des Immunsystems veränderte. Auch für das komplexe Merkmal der Körpergröße lieferten die Ergebnisse eine Erklärung. Demnach verdanken die Nordeuropäer ihre größere Statur Menschen von Hirtenvölkern, die aus eurasischen Steppengebieten eingewandert sind. Dagegen ist die im Schnitt geringere Größe der Südeuropäer auf Einwanderungen von Bewohnern der iberischen Halbinsel zurückzuführen. Nach Angaben der Autoren ging die europäische Bevölkerung insgesamt im Wesentlichen aus einer Mischung von drei vorgeschichtlichen Menschengruppen hervor: Jäger und Sammler im Westen, frühe Ackerbauern sowie Hirtenvölker aus Steppenregionen des Ostens.

Genauere Aussagen zu genetischen Veränderungen während und nach der Neolithischen Revolution seien erst möglich, wenn eine größere Zahl menschlicher Genome aus dieser Zeit zur Verfügung steht, schreiben die Autoren. Weitere Untersuchungen sollten auch Knochenfunde von Haustieren aus vorgeschichtlicher Zeit einschließen, sagt Erstautor Iain Mathieson von der Harvard Medical School. Daraus ergäben sich genauere Aufschlüsse über den zeitlichen Verlauf der Co-Evolution von Mensch und Haustier.

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