Gefühle aus dem Gleichgewicht: Alkohol und Kindheitstrauma verstärken sich gegenseitig
„Wie sich zeigte, stehen Missbrauchserfahrungen in der Kindheit – und zwar insbesondere emotionale Misshandlungen – mit einem dramatischen Rückgang des Serotoninspiegels um 90 Prozent bei männlichen alkoholabhängigen Erwachsenen im Zusammenhang“, konstatiert Kristina Berglund von der Universität Gothenburg. Damit sei erwiesen, dass sich die negativen Auswirkungen von Kindheitstraumata auf die Serotoninmenge in Verbindung mit Alkoholismus um ein Vielfaches verstärken. Wie nachhaltig sich der Missbrauch von Alkohol auf das Verhalten auswirkt, ist bislang jedoch nicht geklärt. Berglund und ihre Kollegen vermuten aber, dass sich die Ausschüttung von Serotonin nach einigen Jahren der Abstinenz wieder normalisiere.
"Die Serotoninmenge wird grundsätzlich von zwei Faktoren beeinflusst: von der erblichen Veranlagung und von Umwelteinflüssen", sagt Lars Oreland, Neurowissenschaftler von der Universität in Uppsala und Ko-Autor der Studie. Spielen beide Faktoren zusammen, sei das Ergebnis aber besonders schwerwiegend, so der Neurowissenschaftler: „Mehrere Studien haben gezeigt, dass Umweltfaktoren die Aktivität der Gene durch den sogenannten epigenetischen Effekt irreversibel beeinflussen.“ Als Folge von negativen Ereignissen im Leben oder durch chronischen Stress werden dabei chemische Gruppen an die DNA geheftet und diese so dauerhaft verändert. Auslöser für diesen Mechanismus ist vermutlich das Stresshormon Cortisol.
Für ihre Studie untersuchten Berglund und ihre Kollegen 18 alkoholabhängige erwachsene Männer. Ihr Serotoninspiegel wurde ermittelt, indem die Menge des Hormons Prolaktin im Blut nach Verabreichung des selektiven Serotoninwiederaufnahmehemmers Citalopan gemessen wurde. Ob eine Traumatisierung in der Kindheit stattgefunden hatte, analysierten die Wissenschaftler durch den validierten Fragebogen „Childhood Trauma Questionnaire“ (CTQ). Als emotionale Misshandlung gelten dabei unter anderem permanente verbale Beleidigungen und abfällige Bezeichnungen wie „dumm“, oder „hässlich". Kinder, die längerfristig solchen Erniedrigungen ausgeliefert sind, erleiden nachweislich dauerhafte emotionale Schäden.
Dass ein Kindheitstrauma das Risiko für spätere psychische Störungen und die Tendenz zu Alkoholabhängigkeit erhöht, hatten bereits frühere Studien erkannt. Auch der Einfluss eines gestörten Serotoninhaushalts auf die Entwicklung psychischer Krankheiten wurde in der Vergangenheit schon untersucht. Berglund und ihr Team haben nun jedoch erstmals einen direkten Zusammenhang zwischen traumatischen Kindheitserlebnissen und einem niedrigen Serotoninspiegel bei alkoholabhängigen Erwachsenen aufzeigen können. Der Mechanismus hinter dieser Verbindung ist zwar laut Berglund noch nicht bekannt. Dennoch rät die Forscherin Klinikärzten, alkoholabhängige Patienten auf Kindheitstraumata hin zu untersuchen, denn die Kombination aus frühen Missbrauchserfahrungen und späterem exzessivem Alkoholkonsum sei „extrem schädlich für das Gehirn“.