Frühmenschen: Pfeil und Bogen erforderten viel Hirnschmalz

Bereits vor 64.000 Jahren war der Mensch zur Entwicklung vielteiliger Werkzeuge fähig
Die Bögen von Buschleuten (San) in Botswana: Hinter schlichten Aussehen verbirgt sich ein hochkomplexes Konzept
Die Bögen von Buschleuten (San) in Botswana: Hinter schlichten Aussehen verbirgt sich ein hochkomplexes Konzept
© Lombard/Haidle
Tübingen/Johannesburg (Südafrika) - Als der erste Mensch Pfeil und Bogen nutzte, war er bereits ein geschickter Handwerker und komplexer Denker. Denn anders als der Faustkeil, der aus einem einzigen Material gehauen wird, braucht es für die zweiteilige Jagdwaffe nicht nur 22 Rohmaterialien, sondern auch zehn verschiedene Werkzeuge, um sie herzustellen. Das berichten deutsche und südafrikanische Forscher, die den Umgang mit Pfeil und Bogen beim Homo sapiens untersucht hatten. Die frühesten archäologischen Beweise für den Einsatz der neuartigen Waffe vor rund 64.000 Jahren stammen von der Spitze des afrikanischen Kontinents. Sie zeigen, dass der frühe Mensch bereits damals ausgeprägte kognitive Fähigkeiten hatte, berichten die Forscher im „Cambridge Archaeological Journal“: Er konnte nicht nur zwei Geräte gemeinsam und abhängig voneinander als Waffe verwenden – wie Angel und Haken oder Nadel und Faden –, sondern sie auch über viele Zwischenschritte hin herstellen.

„Sobald ein Pfeil-und-Bogen-Set als effektive Werkzeuggruppe zum Einsatz kam, eine technische Symbiose, zeigt diese eine neue kognitive Entwicklung – die Fähigkeit, das Konzept verschiedener, aber voneinander abhängiger Werkzeuge zu denken“, schreiben Miriam Haidle von der Heidelberger Akademie der Wissenschaften und Marlize Lombard von der University of Johannesburg. Im Rahmen der Forschungsstelle "The Role of Culture in Early Expansions of Humans" (ROCEEH) der Akademie, beheimatet an der Universität Tübingen und dem Frankfurter Forschungsinstitut Senckenberg, hatten sie die notwendigen Teile und Arbeitsschritte für Pfeil und Bogen rekonstruiert. Sie kombinierten dabei die Ergebnisse archäologischer Funde mit Erkenntnissen von Völkerkundlern und gezielten Experimenten. Damit ließ sich erstmals nachweisen, was dieses Werkzeug-Set über die Entwicklung der menschlichen kognitiven Fähigkeiten aussagt – die Fähigkeit von wahrnehmendem, erkennendem und schlussfolgerndem Denken.

“Wir zeigen, dass – einzeln betrachtet – weder die Herstellung eines einfachen Bogens noch eines Pfeils mit Steinspitze kognitiv anspruchsvoller sind als die Werkzeuge, die die Neandertaler oder Vormenschen fabrizierten“, schreiben die Forscherinnen. Bereits seit rund 2,5 Millionen Jahren hatte der Mensch Werkzeuge genutzt, zunächst als einfache Geräte wie Messer oder Hammer oder zum Herstellen anderer Werkzeuge. Seit 300.000 bis 200.000 Jahren war er in der Lage, mehrere Teile fest zu einer neuen Einheit zusammenzufügen, etwa Holzspeere mit Steinspitze. Doch einen Bogen als kontrollierende Abschussbasis und Pfeile als variabel einsetzbare Verbrauchselemente – dazu war offenbar ein flexibles und komplexes, planendes Denken nötig.

Für die Rekonstruktion der archäologischen Funde – eines schlichten Bogens sowie Pfeilen mit Vorschaft – benötigte das Forscherteam letztendlich zehn unterschiedliche prähistorische Werkzeuge. Damit fügten sie insgesamt 22 Rohmaterialien von Holz über Sehnen bis Stein zusammen, außerdem kamen drei sogenannte Halbfertigprodukte zum Einsatz, etwa früher Multikomponentenkleber oder Bindematerial. Allein der Bogen benötigte fünf Herstellungsschritte, berichten die Forscherinnen. Sie schließen aus den archäologischen Beweisen für das Denken und Konstruieren solcher Module auf einen deutlichen Fortschritt in der Denkfähigkeit des Menschen: „Es beinhaltet ein breites Spektrum an kognitiver und verhaltenstechnischer Komplexität und Flexibilität – die Basis für das menschliche Verhalten von heute.“

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Quelle: „Thinking a bow-and-arrow: cognitive implications of Middle Stone Age bow and stone-tipped arrow technology”, Lombard, Marlize & Miriam Noël Haidle; Cambridge Archaeological Journal 22/2, S. 237-264
DOI: http://dx.doi.org/10.1017/S095977431200025X


 

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