Frühmenschen: Pfeil und Bogen erforderten viel Hirnschmalz

„Sobald ein Pfeil-und-Bogen-Set als effektive Werkzeuggruppe zum Einsatz kam, eine technische Symbiose, zeigt diese eine neue kognitive Entwicklung – die Fähigkeit, das Konzept verschiedener, aber voneinander abhängiger Werkzeuge zu denken“, schreiben Miriam Haidle von der Heidelberger Akademie der Wissenschaften und Marlize Lombard von der University of Johannesburg. Im Rahmen der Forschungsstelle "The Role of Culture in Early Expansions of Humans" (ROCEEH) der Akademie, beheimatet an der Universität Tübingen und dem Frankfurter Forschungsinstitut Senckenberg, hatten sie die notwendigen Teile und Arbeitsschritte für Pfeil und Bogen rekonstruiert. Sie kombinierten dabei die Ergebnisse archäologischer Funde mit Erkenntnissen von Völkerkundlern und gezielten Experimenten. Damit ließ sich erstmals nachweisen, was dieses Werkzeug-Set über die Entwicklung der menschlichen kognitiven Fähigkeiten aussagt – die Fähigkeit von wahrnehmendem, erkennendem und schlussfolgerndem Denken.
“Wir zeigen, dass – einzeln betrachtet – weder die Herstellung eines einfachen Bogens noch eines Pfeils mit Steinspitze kognitiv anspruchsvoller sind als die Werkzeuge, die die Neandertaler oder Vormenschen fabrizierten“, schreiben die Forscherinnen. Bereits seit rund 2,5 Millionen Jahren hatte der Mensch Werkzeuge genutzt, zunächst als einfache Geräte wie Messer oder Hammer oder zum Herstellen anderer Werkzeuge. Seit 300.000 bis 200.000 Jahren war er in der Lage, mehrere Teile fest zu einer neuen Einheit zusammenzufügen, etwa Holzspeere mit Steinspitze. Doch einen Bogen als kontrollierende Abschussbasis und Pfeile als variabel einsetzbare Verbrauchselemente – dazu war offenbar ein flexibles und komplexes, planendes Denken nötig.
Für die Rekonstruktion der archäologischen Funde – eines schlichten Bogens sowie Pfeilen mit Vorschaft – benötigte das Forscherteam letztendlich zehn unterschiedliche prähistorische Werkzeuge. Damit fügten sie insgesamt 22 Rohmaterialien von Holz über Sehnen bis Stein zusammen, außerdem kamen drei sogenannte Halbfertigprodukte zum Einsatz, etwa früher Multikomponentenkleber oder Bindematerial. Allein der Bogen benötigte fünf Herstellungsschritte, berichten die Forscherinnen. Sie schließen aus den archäologischen Beweisen für das Denken und Konstruieren solcher Module auf einen deutlichen Fortschritt in der Denkfähigkeit des Menschen: „Es beinhaltet ein breites Spektrum an kognitiver und verhaltenstechnischer Komplexität und Flexibilität – die Basis für das menschliche Verhalten von heute.“
DOI: http://dx.doi.org/10.1017/S095977431200025X