Ferngesteuerte Kakerlaken jetzt auf Autopilot

Mit Hilfe einer Videospiel-Steuerung lassen sich die mit Elektronik ausgerüsteten Krabbeltiere automatisiert lenken – theoretisch etwa bei Rettungseinsätzen
Madagaskar-Fauchschabe mit Elektronikpaket auf dem Rücken, im Größenvergleich mit einer Vierteldollar-Münze (vergleichbar mit der 50 Cent-Euromünze) – Bild von November 2012.
Madagaskar-Fauchschabe mit Elektronikpaket auf dem Rücken, im Größenvergleich mit einer Vierteldollar-Münze (vergleichbar mit der 50 Cent-Euromünze) – Bild von November 2012.
© Alper Bozkurt
Raleigh (USA) - Spürhunde, Trüffelschweine, Minen suchende Delfine – zu den Tierarten, die dem Menschen beim Suchen helfen, könnten bald die Kakerlaken hinzukommen. Nachdem es US-Forschern vorigen Herbst gelungen war, die Küchenschaben mit elektrischen Signalen quasi fernzusteuern, vermelden sie jetzt: Diese Steuerung kann dank Videospieltechnik auch ein Computer übernehmen. So könnten die Insekten als „Bio-Roboter“ oder Biobots etwa bei Katastrophen nicht nur Verletzte in eingestürzten Häusern finden helfen – sie könnten auch dabei unterstützen, systematisch einen Überblick über das verwüstete Gelände zu bekommen. Das neue Steuerungssystem präsentiert das Team kommende Woche auf der 35. Jahreskonferenz der „IEEE Engineering in Medicine and Biology Society“ im japanischen Osaka.

„Das Autopilot-Programm kontrolliert die Schaben und schickt sie auf die effizienteste Route, um Retter mit einer umfassenden Sicht der Situation zu versorgen“, berichtet Alper Bozkurt, Professor für Elektro- und Computertechnik an der North Carolina State University. „Wir wollen auch Vermessungs- und Funktechnik integrieren und eine kleine Gruppe von Kakerlaken nutzen, um Katastrophenschauplätze zu erforschen und zu vermessen.“ Grundlage dafür ist die Methode zur Fernsteuerung, die Bozkurt und Kollegen im Vorjahr entwickelt hatten: Daumengroße Kakerlaken der Art Madagaskar-Fauchschabe (Gromphadorhina portentosa) bekommen dazu ein Elektronikpäckchen samt Mikrokontroller auf den Panzer, der ihnen falsche Sinneswahrnehmungen vermittelt. Zwei Drähte sind dabei mit ihren beiden Fühlern verbunden und geben elektrische Impulse ab und lassen das Tier denken, es berühre ein Hindernis und müsse nach rechts oder links ausweichen. Der Impuls zum Vorwärtslaufen hingegen kommt vom dritten Draht, der am sogenannten Cercus am Hinterleib ansetzt – einem Tastorgan, das die Insekten vor Annäherung von hinten warnt. Wird dies als Tierquälerei kritisiert, verweist Bozkurt darauf, dass keine Schmerzen ausgelöst werden, und vergleicht es mit dem Lenken von Pferden: Sie würden ebenfalls – mittels Zügeln und Gerte – gezielt vorangetrieben.

„Unser Ziel ist es, diese Schaben so effizient wie möglich steuern zu können und unsere Arbeit mit Kinect verhilft uns dazu“, so der Forscher. Aufbauend auf der allgemeinen Fernlenkung, griff sein Team zur Kinect-basierten Steuerung der Videospielkonsole Xbox 360: Diese reagiert nicht wie früher auf Signale eines Joysticks, sondern registriert mithilfe von Kamera und speziellen Sensoren auf die Körperbewegungen der Spieler. Im Versuchsaufbau der Kakerlaken saßen die Kameras senkrecht über einer Fläche mit vorgegebenem Pfad, dem die Insekten folgen sollten. Die Kameras erfassten deren Bewegung sowie den jeweils nächsten Zwischenpunkt auf dem Weg. Dann entschied die Software automatisch über die nötigen Steuersignale, die per Funk ans Elektronikpäckchen der Kakerlake und dann über den jeweils passenden Draht an die Sinnesorgane gingen. Tatsächlich folgten die Tiere – mit nur geringen Abschweifungen – dem Pfad.

„Dieses System wird helfen, unser Modell für die Reaktion des Insekts zu verfeinern und dieses in zunehmend dynamischeren Situationen zu lenken“, schreiben die Forscher in ihrer Arbeit. So wollen sie die Steuerung immer exakter machen, für den Einsatz in einem Gelände, in dem solche Biobots nicht mehr zu sehen sind, sondern über Funksignale beobachtet und gelenkt werden müssen. Dann würden die Tiere auch mit Mikrofonen oder anderen Sensoren ausgestattet werden, um Überlebende im Chaos zu entdecken. Und mit Lautsprechern, um mit Eingeschlossenen zu kommunizieren. Zusammenfassend schreiben Bozkurt und Kollegen: „Zentimeter große mobile Biobots bieten einzigartige Vorteile in unsicheren Umgebungen“.

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Quelle: „Kinect-based System for Automated Control of Terrestrial Insect Biobots“, Eric Whitmire, Alpert Bozkurt et al.; Präsentation auf der 35th Annual International Conference of the IEEE Engineering in Medicine and Biology Society, 4. Juli 2013.


 

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