Evolution zum Zuschauen: Echsen auf einsamen Eilanden

Ausgesetzte Reptilien geben Aufschluss darüber, wie zentrale Effekte der Artenentwicklung zusammenwirken
Eines der ausgesetzten Gründerpärchen
Eines der ausgesetzten Gründerpärchen
© Manuel Leal/Duke University
Kingston (USA) - Ein paar von einem Hurrikan leergefegte Karibik-Inselchen und ein gutes Dutzend mittelgroße Eidechsen sind die Zutaten für einen detaillierten Einblick in Evolutionsmechanismen: Einzelne, auf den kleinen Eilanden ausgesetzte Echsenpärchen ermöglichten es US-Biologen, die Einflüsse von Umwelt und Erbgut auf die Entwicklung einer Art in einer natürlichen Umgebung gezielt zu studieren. Das Fazit: Sowohl die natürliche Selektion als auch der sogenannte Gründereffekt beeinflussen, wie sich die Merkmale einer Art verändern, wenn eine Population nur aus wenigen Artgenossen besteht. Die Beobachtungen, die die Forscher online im Fachblatt „Science“ präsentieren, geben nun Aufschluss über die Interaktion zwischen diesen zwei zentralen Prozessen, die die Evolution antreiben.

„Wir beobachten Gründereffekte nur selten, wenn sie in der Natur auftreten, aber wir wissen, dass es sie gibt, weil Inseln mit der Zeit von neuen Arten kolonisiert werden“, sagt Jason Kolbe von der University of Rhode Island. Der Gründereffekt beschreibt den Verlust genetischer Vielfalt, der auftritt, wenn ein Lebensraum lediglich von einigen wenigen Angehörigen einer Art neu besiedelt wird. Allein das Erbgut dieser wenigen Individuen bildet dann die genetische Grundlage der neu heranwachsenden Population. Bisherige Untersuchungen dieses Phänomens hatten nur unter Laborbedingungen stattgefunden. Dank eines Hurrikans konnten Kolbe und seine Kollegen der Evolution sozusagen bei der Arbeit zusehen und den Gründereffekt erstmals unter natürlichen Gegebenheiten verfolgen. Auf einigen kleinen Inseln der Bahamas hatte der Sturm die zuvor heimische Echsenart Bahamaanolis (Anolis sagrei) ausgelöscht. Daraufhin setzten die Forscher auf sieben Inseln jeweils ein einzelnes Gründerpärchen dieser Art aus. „Wir manipulierten die Besiedlung dieser Inseln“, erzählt der Biologe. „Aber alles andere war natürlich.“ Die unfreiwilligen Auswanderer stammten von einer größeren Insel in der Gegend.

„Wir beobachteten einen Gründereffekt ein Jahr nach Beginn des Experiments“, erklärt Kolbe. „Dieser führte zu Unterschieden unter den Echsen auf den sieben Inseln.“ Aufgrund ihrer genetischen Veranlagung besaßen manche längere Gliedmaßen, manche kürzere. In den folgenden vier Jahren allerdings entwickelten die Anolis auf allen sieben Inseln kürzere Extremitäten. Dies wiederum ist auf natürliche Selektion wegen der Bedingungen in der neuen Heimat zurückzuführen – die Vegetation dort ist niedriger, buschiger und weniger bewaldet, als auf der Ursprungsinsel. Während längere Hinterbeine zwar günstiger für das Klettern und Laufen auf Bäumen sind, sind sie hier eher von Nachteil. Für eine schnelle Fortbewegung in den engeren Büschen sind kürzere Hinterbeine die geeignetere Anpassung.

„Dennoch hatten diejenigen, die mit den längsten Hinterbeinen an den Start gingen, auch immer noch die längsten Hinterbeine“, erläutert Kolbe weiter. Die Tatsache, dass die Populationen ihre Reihenfolge von den längsten zu den kürzesten Gliedmaßen während des Experiments beibehielten, bedeute: Beides, Gründereffekt sowie natürliche Selektion, trugen zu den aktuellen Unterschieden bei. „Wir wussten nicht, wie diese Evolutionsmechanismen miteinander interagieren. Was wir gelernt haben, ist: Die durch den Gründungseffekt bewirkten Unterschiede bleiben bestehen, auch wenn sich eine Population an neue Umgebungen anpasst.“

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Quelle: “Founder Effects Persist Despite Adaptive Differentiation: A Field Experiment with Lizards“, Jason J. Kolbe et al.; Science (Science Express), DOI 10.1126/science.1209566


 

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