Evolution des Menschen: Kinderfürsorge erfolgt im Team

Kooperatives Verhalten innerhalb der Gruppe entlastete die Mütter und steigerte die Vermehrungsrate der frühen Menschen
Eine Mutter vom Jäger-und-Sammler-Volk der Pumé in Venezuela
Eine Mutter vom Jäger-und-Sammler-Volk der Pumé in Venezuela
© Karen Kramer
Salt Lake City (USA) - „Es braucht ein ganzes Dorf, um ein Kind großzuziehen“, heißt es in einem afrikanischen Sprichwort. Der Mensch hat im Lauf seiner Evolution verschiedene Formen von kooperativem Verhalten entwickelt, die seine biologische Fitness verbesserten. Dazu zählte auch, dass Mütter ihre Kinder nicht mehr allein aufzogen, sondern dabei von Verwandten und anderen Mitgliedern ihrer Gruppe unterstützt wurden. Über die Antriebskräfte, die für diese Veränderung der Lebensweise verantwortlich gewesen sein könnten, berichten jetzt amerikanische Anthropologen im „Journal of Human Evolution”. In einer Simulation gingen sie davon aus, dass bei den Vorfahren des Menschen – ähnlich wie bei heutigen Menschenaffen – Mütter in der Regel nur jeweils ein einzelnes Kind versorgten. Dieses wurde spät entwöhnt, lernte danach aber schnell, sich selbst zu ernähren. Mütter, die mehrere Kinder gleichzeitig großziehen mussten, gab es praktisch nicht. Dann verkürzte sich die Zeit zwischen den Geburten und gleichzeitig blieben die Kinder länger von der mütterlichen Fürsorge abhängig. Kosten-Nutzen-Berechnungen der Forscher ergaben, dass diese Entwicklung nur deshalb erfolgreich sein konnte, weil zunächst ältere Geschwister und später auch erwachsene Gruppenmitglieder bei der Versorgung des Nachwuchses mithalfen.

„In unserem Modell simulierten wir ein ökonomisches Problem, das während der menschlichen Evolution zu entstehen drohte: Die Frauen bekamen in kurzer Zeit so viele Kinder, dass sich die Mütter nicht mehr allein um sie kümmern konnten“, sagt Karen Kramer von der University of Utah in Salt Lake City. Eine schnellere Geburtenfolge und frühe Entwöhnung ging einher mit einem länger andauernden Abhängigkeitsverhältnis der Kinder, denn Erwerb und Zubereitung der komplexer gewordenen Nahrung mussten erst erlernt werden. Daher erwies es sich als vorteilhaft, wenn die Mütter innerhalb einer Gruppe bei der Kinderaufzucht Unterstützung erhielten. Als erster Schritt sei nach Ansicht der Forscher ein kooperatives Verhalten älterer Geschwister anzunehmen, wobei sich Empathie und Gerechtigkeitssinn entwickelt hätten. Diese Eigenschaften könnten dazu geführt haben, dass sich auch Väter um ihren Nachwuchs kümmerten und andere erwachsene Gruppenmitglieder auch Kinder unterstützten, die nicht ihre eigenen waren.

Für ihr Szenarium setzten die Forscher mathematische Gleichungen ein, die plausibel machten, dass Kleinkinder von „Netto-Konsumenten“ allmählich zu „Netto-Produzenten“ wurden, die mit steigendem Alter der Familie und der Horde bei der Nahrungsbeschaffung immer mehr Vorteile verschafften. Wahrscheinlich haben Menschenmütter ihren Nachwuchs ursprünglich fünf bis sechs Jahre gesäugt und in dieser Zeit keine weiteren Kinder zur Welt gebracht. Nach der Entwöhnung stellten sie bald die weitere Versorgung ganz ein, so dass die Kinder schon früh auf sich selbst gestellt waren. Im nächsten Schritt könnten sich mehrere Mütter mit ihren Kindern zusammengeschlossen haben. Durch gegenseitige Unterstützung hätte sich dann die Zeit zwischen den Geburten verkürzen können. Die spätere zusätzliche Kooperation mit Vätern, Verwandten und Nicht-Verwandten ermöglichte schließlich eine im Vergleich zu anderen Primaten zwei- bis fünffach höhere Vermehrungsrate der Menschen. Zur Bestätigung ihrer Ergebnisse wäre es interessant zu erforschen, so Kramer, wie sich innerhalb von Familie und Stammesverband heutiger noch traditionell lebender Gesellschaften kooperatives Verhalten bei Kindern und Jugendlichen entwickelt.

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