Evolution: Viele Tiere machen sich ein Gen aus Bakterien zunutze

Durch horizontalen Gentransfer in das Erbgut eingebautes Toxin-Gen unterstützt die Abwehr von Infektionen
Die amerikanische Hirschzecke (Ixodes scapularis), ein Überträger der Lyme-Borreliose, verfügt über ein ursprünglich bakterielles Toxin-Gen.
Die amerikanische Hirschzecke (Ixodes scapularis), ein Überträger der Lyme-Borreliose, verfügt über ein ursprünglich bakterielles Toxin-Gen.
© Matt Pinski/University of Washington
Seattle (USA) - Bestimmte Gene von Mikroben wurden im Lauf der Evolution dauerhaft in das Erbgut mehrzelliger Lebewesen eingebaut. Wie Tiere davon profitieren, konnten amerikanische Biologen am Beispiel eines bakteriellen Toxin-Gens nachweisen, das dazu dient, andere Bakterien abzutöten. Das Gen ist unter anderem in Zecken aktiv und unterstützt deren Immunabwehr: Es führt zur Produktion eines Enzyms, das nach außen abgegeben werden kann und die Zellwand von Bakterien zerstört. Mit Borrelien infizierte normale Zecken hatten eine geringere Zahl an Bakterien im Darm als Zecken mit blockiertem Toxin-Gen. Das Gen verringert also auch die Wahrscheinlichkeit, dass Menschen beim Stich infiziert werden, berichten die Forscher im Fachjournal „Nature“. Wahrscheinlich gibt es noch weitere nützliche Gene im Erbgut von Tieren, die aus Bakterien stammen und bisher noch nicht identifiziert worden sind.

„Wir waren überrascht, in verschiedenen Tieren Toxin-Gene zu finden, von denen wir dachten, dass sie nur in Bakterien vorkommen“, sagt Matthew Daugherty aus dem Forscherteam von Joseph Mougous von der University of Washington in Seattle. Die Biologen hatten vor vier Jahren das Toxin-Gen Tae in Bakterien entdeckt, das die Produktion eines Enzyms steuert. Wird das Enzym nach außen abgegeben, greift es die Zellwand benachbarter Bakterien an, so dass diese absterben. Ein solches Enzym wäre nicht nur eine Waffe im Konkurrenzkampf zwischen Bakterien. Es würde jedem Lebewesen helfen, bakterielle Krankheitserreger abzuwehren. Daher suchten die Forscher in Genom-Datenbanken nach DNA-Sequenzen dieses Toxin-Gens im Erbgut anderer Organismen.

Tatsächlich entdeckten sie drei Varianten des Tae-Gens in ganz unterschiedlichen Lebewesen, darunter Protozoen, Spinnen, Krebse, Insekten und Weichtiere. Genauere Analysen ergaben, dass im Lauf der Evolution mindestens sechsmal unabhängig voneinander ein horizontaler Gentransfer – also eine Genübertragung über Artgrenzen hinweg – zwischen Bakterien und höher entwickelten Lebewesen abgelaufen sein muss. Demnach haben beispielsweise vor 550 Millionen Jahren gemeinsame Vorfahren von Zecken, Milben und Krebsen das Toxin-Gen erworben. In zehn Arten von Zecken und Milben, in zwei Skorpionen und einer Krabbe hat sich das Gen bis heute erhalten. Bei einigen Spinnenarten ging es dagegen wieder verloren.

Ob das bakterielle Gen im Erbgut von Tieren auch von Nutzen ist, untersuchten die Forscher an der amerikanischen Hirschzecke (Ixodes scapularis), einem Überträger der Lyme-Borreliose. Sie stellten zunächst fest, dass das Gen nicht nur – wie in einigen anderen Fällen – als inaktiver funktionsloser DNA-Abschnitt vorliegt, sondern aktiv ist: Es bewirkt die Produktion des antibakteriellen Enzyms im Darm der Zecke. Dann blockierten die Biologen das Gen durch sogenannte RNA-Interferenz und ließen die Zecken Blut saugen, das mit Borrelien infiziert war. Zwei Wochen später hatten diese Tiere deutlich mehr Borrelien im Darm als diejenigen mit dem aktiven Toxin-Gen. Das bakterielle Gen ermöglicht es also der Zecke, die Vermehrung von Borrelien – und anderer Bakterien – zu begrenzen. Als Nebeneffekt beeinflusst das auch die Effizienz, mit der die Erreger der Borreliose während der Blutmahlzeit übertragen werden. Der Erwerb des Toxin-Gens kann wahrscheinlich direkt die biologische Fitness steigern, indem es das angeborene Immunsystem durch eine neue Funktion verstärkt, schreiben die Autoren. Es sei daher anzunehmen, dass es noch andere, bisher unentdeckte Gene von Bakterien gibt, die zu Bestandteilen tierischer Genome geworden sind.

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