Erstmals beobachtet: Quadratische Schneeflocken

Forscher entdecken neue Kristallstruktur von Wassereis – Ergebnis soll Entwicklung hochauflösender Mikroskope unterstützen
Eine quadratische Schneeflocke unter dem Elektronenmikroskop. Sichtbar sind die Sauerstoffatome (Vergrößerung rechts oben), die auf die quadratische, zweidimensionale Struktur der Wassermoleküle hindeuten.
Eine quadratische Schneeflocke unter dem Elektronenmikroskop. Sichtbar sind die Sauerstoffatome (Vergrößerung rechts oben), die auf die quadratische, zweidimensionale Struktur der Wassermoleküle hindeuten.
© Universität Ulm
Ulm/Manchester (Großbritannien) - Keine Schneeflocke gleicht einer anderen, obwohl dabei Wasser immer in einer hexagonalen, sechszähligen Struktur erstarrt. Nun eröffnet sich noch mehr Formenvielfalt mit einer überraschenden Entdeckung in Ulm: Dort schufen Physiker erstmals einen quadratischen, extrem flachen Eiskristall, der unter hohem Druck sogar bei Raumtemperatur entstand. Wie die Forscher aus Deutschland, China und Großbritannien in der Fachzeitschrift „Nature“ berichten, könnten diese zweidimensionalen Schneeflocken sogar in der Natur existieren und bisher ungelöste Phänomene beim Wassertransport durch Membranen und Kapillaren erklären helfen.

„Wir waren einfach neugierig, was passiert, wenn wir Wasser zwischen zwei Graphenschichten packen“, sagt Ute Kaiser von der Universität Ulm, wo dieses Experiment durchgeführt wurde. Das Besondere an dem Versuchsaufbau: Die nur eine Atomlage dünnen Graphenschichten aus Kohlenstoff ziehen einander stark an, wenn sie sich nah genug kommen. Die dabei wirkenden Van-der-Waals-Kräfte reichen aus, um zwischen den Graphenschichten hohe Drücke von bis zu 10.000 Atmosphären (ein Gigapascal) aufzubauen. Kaiser und Kollegen füllten den weniger als einen milliardstel Meter schmalen Spalt zwischen den Schichten mit Wasser.

Der auf das Wasser wirkende Druck war hoch genug, um selbst bei Raumtemperatur festes Eis entstehen zu lassen. Doch beim Blick durchs Mikroskop überraschte die Forscher die Form dieser winzigen Schneeflocke. Es bildete sich eine extrem flache und quadratische Struktur aus, die noch nie zuvor beobachtet werden konnte. Mit aufwendigen molekulardynamischen Berechnungen ließ sich bestätigen, dass unter den herrschenden Bedingungen tatsächlich zweidimensionale, quadratische Wasserkristalle möglich sind.

„Wasser ist wahrscheinlich die am besten untersuchte Substanz. Doch niemand konnte sich bisher quadratisches Eis vorstellen“, sagt der an diesen Arbeiten beteiligte Physik-Nobelpreisträger Andre Geim von 2010, der nur sechs Jahre vor seiner Auszeichnung an der University of Manchester zusammen mit Konstantin Novoselov das Kohlenstoffmaterial Graphen entdeckt hatte. Er vermutet nun, dass die winzigen Quadratflocken eine Rolle für den ungewöhnlich schnellen Wassertransport in filigranen Kapillaren aus Graphen spielen könnten. Darüber hinaus existieren ähnlich kleine Poren und fein strukturierte Membranen auch in biologischen Organismen. Und so könnte diese Entdeckung auch zur Klärung von Transportphänomenen in Kapillaren beitragen.

Ute Kaiser, die mit ihrer Arbeitsgruppe auch am europäischen Flagship-Projekt „Graphene“ beteiligt ist, erhofft sich weitere Vorteile aus diesem Ergebnis. Denn sie entwickelt derzeit ein neuartiges Transmissionselektronenmikroskop (TEM), das schonender als bisher extrem hochaufgelöste Aufnahmen von biologischen Proben liefern soll. Für dieses Mikroskop könnten die doppelten Graphenschichten als effektiver Probenschützer dienen. Ob die Sandwich-Strukturen tatsächlich diese Aufgabe für eine räumliche Auflösung von wenigen Zehntel Nanometern erfüllen können, müssen jedoch erst weitere Studien zeigen.

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