Emotionale Geschichten fördern das Wir-Gefühl

Das gemeinsame Anschauen eines Films, der starke Gefühle auslöst, senkt das Schmerzempfinden und stärkt die Gruppenbindung
Gemeinsam angeschaute hochemotionale Filme stärken das Zusammengehörigkeitsgefühl.
Gemeinsam angeschaute hochemotionale Filme stärken das Zusammengehörigkeitsgefühl.
© Shutterstock, Bild 94827535
Oxford (Großbritannien) - Menschen lieben bewegende Geschichten, ganz gleich ob sie am Lagerfeuer erzählt, als Roman gelesen, auf der Bühne dargestellt oder im Film präsentiert werden. Warum sich diese kulturübergreifende Eigenart des Homo sapiens im Lauf der Evolution entwickelt hat, ist bisher kaum erforscht. Jetzt haben britische Psychologen Hinweise auf eine mögliche Erklärung gefunden: Ihre Studie zeigt, dass ein Film, der starkes Mitgefühl erzeugt, die Ausschüttung von Endorphinen im Gehirn erhöht. Diese Botenstoffe dämpften nicht nur das Schmerzempfinden, sondern verstärkten auch Gefühle der Zusammengehörigkeit in der Gruppe der Zuschauer, berichten die Forscher im Fachblatt „Royal Society Open Science“. Das gemeinsame Mitempfinden dramatischer Geschichten könnte demnach dazu dienen, die sozialen Bindungen innerhalb einer Gruppe zu festigen, was zum Überleben der frühen Menschen beigetragen hätte.

„Wir prüften die Hypothese, dass eine tragische Geschichte das Endorphinsystem stimuliert, indem sie einen Zustand psychischen Schmerzes erzeugt“, erklären die Wissenschaftler um Robin Dunbar von der University of Oxford. Das hieße, dass möglicherweise seelischer und körperlicher Schmerz durch dämpfende Mechanismen in den gleichen Hirnregionen kontrolliert wird. Vom Ausdruck positiver Empfindungen wie Lachen, Singen und Tanzen sei zudem bekannt, dass dadurch das Endorphinsystem angeregt und das Gefühl der Gruppenzugehörigkeit verstärkt wird. Die Forscher untersuchten nun, ob ein hochemotionaler Film über das schwere Leben eines behinderten obdachlosen Kindes ähnliche Wirkungen auf Zuschauergruppen hat.

An der Studie beteiligten sich insgesamt 169 Männer und Frauen im Alter zwischen 18 und 72 Jahren, die die 90-minütige Filmvorführung in Gruppen von 2 bis 49 Personen besuchten. Als Kontrolle diente ein Teil dieser Probanden, die sich zu einem anderen Zeitpunkt zwei sachliche Dokumentarfilme ansahen. Die Mitglieder der einzelnen Gruppen waren nicht miteinander verwandt oder befreundet. Vor und nach der Vorführung füllten die Teilnehmer psychologische Fragebögen aus und unterzogen sich einem Schmerztest. Dabei wurde ermittelt, wie lange sie eine mit der Zeit schmerzhafte Körperhaltung ertrugen.

Bei den meisten Zuschauern des emotionalen Films erhöhte sich die Schmerzschwelle – ein indirektes Anzeichen für eine vermehrte Endorphinproduktion. Außerdem fühlten sich diese Teilnehmer stärker als zuvor mit denen verbunden, die mit ihnen die Filmvorführung erlebt hatten. Für die Dokumentarfilme war keiner dieser Effekte nachweisbar. Einige Teilnehmer gaben an, das Schicksal des Kindes im Film hätte sie kaum emotional bewegt. Bei diesen Personen hatten sich auch das Schmerzempfinden und das Gefühl der sozialen Beziehung zur Gruppe nicht verändert.

Die Autoren halten folgende Kausalkette für wahrscheinlich: Die emotionale Reaktion auf den Film erhöht die Produktion von Endorphinen, wodurch die Schmerzschwelle steigt und sich das Gefühl der Verbundenheit verstärkt. Es sei aufgrund genauerer statistischer Analysen unwahrscheinlich, dass der Film zunächst die soziale Bindung und diese dann das Schmerzempfinden beeinflusst. „Die Ergebnisse zeigen“, so die Autoren, „dass sich unsere Begeisterung für das Geschichtenerzählen in der Evolution deshalb entwickelt haben könnte, um – ähnlich wie gemeinsames Lachen, Singen und Tanzen – den Zusammenhalt sozialer Gruppen zu verbessern.“

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