Einmalig im Tierreich: Darm der Raupen hilft beim Kriechen

Der Verdauungstrakt der Tabakschwärmer-Raupe ist vom Außenkörper des Tieres entkoppelt, das freie Schwingen kann die Fortbewegung erleichtern. Vorbild für effizientere Roboterbewegungen.
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Medford (USA) - Wie der Mensch beim Laufen die Arme mitschwingt, so scheinen Raupen des Tabakschwärmers innerlich ihren Vertrauungstrakt zu schwingen, wenn sie kriechen. US-Forscher stellten mithilfe von Röntgenbildern überrascht fest, dass der Körper der Raupen offenbar aus zwei unabhängig schwingenden, entkoppelten Teilen besteht. Das ist bislang von keinem anderen Tier bekannt. Der gesamte Verdauungstrakt ist nur am Kopf und Hinterteil mit dem Außenkörper verbunden. Kriecht die Raupe nun vorwärts, so berichten die Forscher im Fachblatt "Current Biology", so schwingt der Magen-Darm-Schlauch - und damit der Körperschwerpunkt - immer einen Tick früher nach vorne als die äußere Körperhülle. Nach diesem Vorbild sollen neue Roboter entwickelt werden, mit entsprechend effizienterer und Energie sparender Fortbewegung.

"Das Verstehen dieses neuartigen Bewegungssystems kann helfen, Roboter mit weichem Körper zu entwickeln", erklärt Barry Trimmer, Biologieprofessor an der Tufts University, "und es könnte eine neue Untersuchung auslösen, welche Rolle weiche Gewebe in den biomechanischen Abläufen von Menschen und anderen Tieren spielen". Gemeinsam mit Kollegen der Virginia Polytechnic Institute and State University (Virginia Tech), der Brandeis University und des Argonne National Laboratory hatte Trimmers Team die Raupen des Tabakschwärmers (Manduca sexta) näher unter die Lupe genommen. Die rund sieben Zentimeter langen grünen Larven bewegen sich beim Kriechen wie andere Raupen in wellenartigen Bewegungen nach vorn - die Außenhülle des Körpers kann sich in sich stauchen und dehnen, während die Beine von einem Standpunkt zum nächsten gesetzt werden.

Unter synchronisierten Röntgenaufnahmen, kombiniert mit Lichtmikroskopie und Videobildern, zeigte sich überraschend eine unabhängige innere Bewegung im Raupenkörper. Die Forscher verglichen etwa die Bewegungen der Darmwand der kriechenden Raupen und ihrer so genannten Bauchbeine, stummelförmige Extremitäten in der Körpermitte, die beim Festhalten helfen. Dabei ist der Verdauungstrakt samt Magen eine weiche Röhre, von Muskeln umgeben, die quasi frei zwischen Kopf und Afterbereich aufgehängt und so von der Außenhaut entkoppelt ist. Dieser bewegte sich in den Aufnahmen beinah einen vollen Schritt vor den äußeren Körperstrukturen, allerdings im gleichen Takt wie Kopf und Hinterteil. Obendrein bewegten sich Punkte innerhalb des Vedauungstrakts mit unterschiedlichem Tempo. Das deutet darauf hin, so die Forscher, dass sich auch das Körperinnere beim Kriechen - wie das Äußere, aber unabhängig davon - dehnt und staucht."Die Raupen schienen sich mithilfe eines Zwei-Körper-Systems vorwärts zu schieben - dies könnte zur außerordentlichen Bewegungsfreiheit beitragen, die man in diesen Weichkörper-Krabblern sieht", erklärt Michael Simon, Hauptautor der Studie. Ursprünglich wollte er nur das Nervensystem der Tabakschwärmer-Larven untersuchen. Nun sei weitere Forschung nötig, um herauszufinden, ob das Bewegungsphänomen den Raupen einen Evolutionsvorteil verschaffte, ebenso wie das Schwingen der Arme beim menschlichen Laufen die Stabilität erhöht und den Energieverbrauch senkt. Dies könnte auch für den Roboterbau wertvolle Informationen liefern, so Simon: "Bisher hat man sich auf das äußere Design von Robotern konzentriert. Aber wir müssen auch betrachten, wie man möglichst optimal das Innere des Roboters und jederlei Traglast optimal arrangiert. Würde etwa die Bewegung verbessert, wenn man mehr Masse nach hinten packt, wie es diese Raupen zu tun scheinen?"

(c) Wissenschaft aktuell
Quelle: "Visceral-locomotory Pistoning in Crawling Caterpillars (Manduca sexta)", Michael A. Simon, Barry A. Trimmer et al.; Current Biology, Online-Vorabveröffentlichung (Juli 2010)


 

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