Eichelwürmer und Menschen: Äußerlich grundverschieden – genetisch eng verwandt

Vergleichende Erbgutanalyse zeigt große Gemeinsamkeiten zwischen den exotischen Meeresbewohnern und Säugetieren
Junger Eichelwurm (Ptychodera flava)
Junger Eichelwurm (Ptychodera flava)
© Kunifumi Tagawa
Okinawa (Japan) - Alle Lebewesen sind miteinander verwandt, was insbesondere in ihren Genen erkennbar ist. Allerdings lässt sich nicht so einfach von genetischer Gemeinsamkeit auf ähnliche körperliche Merkmale schließen. So zeigen erstaunlich viele Gene von Wirbeltieren und Menschen große Ähnlichkeit mit Genen im Erbgut wurmförmiger Kreaturen, die auf dem Meeresboden leben, wie ein internationales Forscherteam jetzt in der Zeitschrift „Nature“ berichtet. Demnach gibt es für etwa 70 Prozent der menschlichen Gene sehr ähnliche DNA-Abschnitte im Genom von Eichelwürmern. Die Wissenschaftler hatten erstmals das gesamte Genom von zwei Arten dieser Tiergruppe vollständig sequenziert. Aus Vergleichen mit bereits bekannten Genomen anderer Tierarten ergaben sich überraschende Informationen über die genetische Ausstattung eines unserer Vorfahren, der vor mehr als 500 Millionen Jahren existierte.

Die beiden Eichelwurm-Genome liefern Hinweise auf den gemeinsamen Vorfahren aller Deuterostomier und auf die Ursprünge der Chordatiere, wie Oleg Simakov von der Okinawa Institute of Science and Technology Graduate University und seine Kollegen mitteilen. In der Systematik der vielzelligen Tiere werden diejenigen zur Gruppe der Deuterostomier („Neumünder“) zusammengefasst, bei denen während der Entwicklung des Embryos der Urmund zum After wird und der spätere Mund neu entsteht. Im Gegensatz dazu bleibt bei den Protostomiern („Urmünder“) der embryonale Urmund als Mund bestehen. Vertreter der Protostomier sind unter anderem Faden- und Ringelwürmer, Insekten und Mollusken. Zu den Deuterostomiern zählen zum einen die Eichelwürmer, zum anderen Stachelhäuter wie die Seesterne, sowie die Chordatiere, zu denen alle Wirbeltiere und der Mensch gehören.

Es gibt mehr als hundert Arten von Eichelwürmern, deren Körperlängen zwischen weniger als einem Millimeter und mehr als zwei Metern liegt. Die Tiere filtern Nährstoffe aus dem Wasser, das durch kiemenähnliche Spalten ihrer Rachenregion, dem Pharynx, strömt. Diese Struktur des Rachens, die auch der Sauerstoffaufnahme dient, war eine neue Erfindung der Evolution, die ursprünglich allen Deuterostomiern gemeinsam war. Bei den Stachelhäutern ging sie später verloren, bei den Wirbeltieren wurde sie verändert oder rückgebildet.

Im Erbgut zweier Spezies von Eichelwürmern, Saccoglossus kowalevskii aus dem Atlantik und Ptychodera flava aus dem Pazifik, konnten die Forscher eine Gruppe von sechs eng benachbarten Genen identifizieren, die gemeinsam die Entwicklung der Pharynxstruktur steuern. Diese Gengruppe fand sich in ganz ähnlicher Form auch bei sämtlichen anderen Arten von Deuterostomiern. Beim Menschen kontrolliert sie die embryonale Entwicklung von Schilddrüse und Rachen. Dieser Teil des Genoms blieb demnach über einen 500 Millionen Jahre andauernden Zeitraum der Evolution weitgehend erhalten. Bei den Protostomiern gibt es diese Gene nicht.

Im Erbgut der Eichelwürmer entdeckten die Forscher insgesamt etwa 19.000 Gene, die sie mit DNA-Sequenzen im Genom von 32 Tierarten verglichen. Für 8700 Gene der Eichelwürmer fanden sie 14.000 entsprechende, zum Teil in mehreren Varianten vorhandene Gene bei allen Spezies von Deuterostomiern – einschließlich des Menschen. Diese Ergebnisse würden auch zeigen, dass sich das Ausmaß der Unterschiede in äußeren Merkmalen zweier Tierarten nicht direkt in Unterschieden ihrer Genome widerspiegelt, schreibt Casey Dunn von der Brown University in Providence in einem begleitenden Kommentar. So hätten die Deuterostomier trotz großer Gemeinsamkeiten im Erbgut auf noch unbekannte Weise eine enorme Formenvielfalt entwickelt.

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