Die dunkle Seite im Cyberspace

Stalking und Mobbing via Internet belastet die Opfer intensiver - Psychologen beobachten wachsenden Trend
Washington (USA) - Digitale Schikane wiegt schwerer: Wer im Internet und mit moderner Technologie verfolgt und drangsaliert wird, leidet stärker darunter, als wenn der Psychoterror im echten Leben stattfindet. Denn Onlinemobbing und Cyberstalking geschehen per SMS, E-Mails oder in sozialen Netzwerken und lassen dem Opfer in der heutigen vernetzten Welt kaum einen Rückzugsraum. Die belastende bis zerstörerische Wirkung solch digitaler Misshandlung fassten Forscher aktuell in mehreren Beiträgen zur Jahreskonferenz der "American Psychological Association" zusammen. Dabei unterscheidet sich das Mobbing - das Demütigen und Ausgrenzen aus Gruppen - vom Stalking - gezielter Verfolgung und Drohungen. Doch in beiden Fällen machen es die elektronischen Medien vor allem den Tätern leichter, so die Forscher, weil sie einfacher anonym bleiben und ihre Opfer beinah ständig erreichen können. Die größere Öffentlichkeit verstärkt die Belastung der Opfer weiter. Die Zahl der digitalen Übergriffe steigt, je mehr Menschen online unterwegs sind. Der Trend ist bereits unter Schülern auf dem Vormarsch, so die Forscher.

"Stalker nutzen vermehrt moderne Technik, um ihre Opfer zu überwachen und zu quälen", berichtete die New Yorker Trauma-Psychologin Elizabeth Carll in ihrem Vortrag über elektronisches Mobbing und Cyberstalking. Die emotionalen Reaktionen der Opfer umfassen demnach permanenten Stress auf hohem Niveau, Furcht und Beklemmung, Albträume, Ungläubigkeit und Hilflosigkeit. Dies führe zu Schlaf- und Essstörungen und extremer Vorsicht, berichtete Carll: "Die Wirkung von Cyberstalking und E-Mobbing ist verheerender, wegen der Rund-um-die-Uhr-Natur der Online-Kommunikation, der Unmöglichkeit, an einen sicheren Ort zu flüchten, und dem weltweiten Zugang zu der Information."

Auch in Schulen sind Angriffe per moderner Technik offenbar auf dem Vormarsch - offenbar oft in einer Art Kettenreaktion: "Cybermobbing macht die Schüler sozial ängstlich, einsam, frustriert, traurig und hilflos", berichten Yeo Ju Chung und Youngseok Seo von der koreanischen Kyungil University in ihrem Vortrag. "Viele haben Probleme, sich von den negativen Effekten zu erholen." Gleichzeitig aber neigten sie später selbst oft dazu, zu Tätern zu werden und Andere online zu mobben. Chung und Seo hatten untersucht, wie Jugendliche zwischen 12 und 19 Jahren emotional mit dem Online-Mobbing fertig werden. Von 1.112 Schülern berichteten 36 Prozent von eigenen Erfahrungen als Opfer im Jahr 2009. Sie waren umso schlimmer belastet, wenn das Mobben anonym und in einseitigen Kommunikationsformen geschah, etwa in Blogs und Diskussionsforen. Wer zum Grübeln neigte, den belastete das Cybermobbing deutlich mehr und länger als jene, die mit positiven Gedanken nach vorne blickten, und wer sich selbst die Schuld gab, neigte eher zum Grübeln.

Wenig konkrete Zahlen

Laut Zahlen des US-Justizministeriums werden rund 850.000 Erwachsene im Jahr Opfer von Cyberstalking - in der Mehrheit Frauen, Tendenz steigend, so berichtet Carll. Für Deutschland liegen zum Stalking und Mobbing im Internet kaum konkrete Statistiken vor. Allerdings sind die Verbreitung der elektronischen Medien und die Gesellschaftsstruktur in der westlichen Welt recht ähnlich. Laut anderen Quellen, die Carll zitiert, nutzen heute rund 20 Prozent der Stalker bereits soziale Netzwerke für ihre Schikane. 40 Prozent der Frauen sind bei der Partnersuche digital belästigt worden, per SMS oder Verleumdungen auf den Seiten von Facebook & Co.

Unter deutschen Schülern zeigte eine stichprobenartige Umfrage der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin im Jahr 2008, dass von 1.208 knapp 25 Prozent ein oder mehrere Cybermobbing-Opfer im Bekanntenkreis hatten - davon mehr Mädchen als Jungen, am häufigsten zwischen 14 und 17 Jahren und überdurchschnittlich oft an Realschulen. Nur von sieben Prozent Mobbing-Opfern unter europäischen Jugendlichen zwischen 9 und 16 Jahren berichtete das Projekt "EU Kids Online" an der London School of Economics and Political Science. Es hatte Daten zwischen 2006 und 2009 ausgewertet und bei deutschen Kindern unterdurchschnittliche 4 Prozent Mobbingopfer ausgemacht. Seither hat sich Internet- und Handynutzung auch bei Minderjährigen weiter verbreitet. Davon unabhängig ist aber vermutlich die Erkenntnis, dass 60 Prozent der Opfer auch selbst Täter sind oder dazu werden.

Gegenmaßnahmen

Um den Opfern zu helfen, schlagen die Forscher der Konferenz unterschiedliche Maßnahmen vor. "Wir können ihnen helfen, ihre Gefühle zu steuern, um sich zu erholen statt selbst zu Mobbern zu werden", sagen die Koreaner Chung und Seo. Ihre Kollegin Carll hingegen schlägt vor, die moderne Technik gegen die Täter einzusetzen: "Die selben Technologien, die zum Belästigen genutzt werden, können auch beim Eingreifen und Verhindern von Schikane helfen." Polizeikräfte und soziale Hilfsdienste müssten geschult werden, um elektronische Methoden gezielt einsetzen zu können. Einige US-Staaten prüfen demnach, ob GPS-Sender eingesetzt werden dürfen, um Stalking-Opfer zu warnen, wenn ihre Verfolger sich nähern, so Carll: "Das könnte Leben retten."

© Wissenschaft aktuell
Quelle: "Electronic Harassment and Cyberstalking: Intervention, Prevention, and Public Policy" Elizabeth Carll; Session 3095, 6.8.11
"Effect of Emotion Regulation for Cyberbullied Adolescents: A Structural Equation Modeling Approach," Yeo Ju Chung & Youngseok Seo, Session 2292, 5.8.11
beide: ; Jahreskonferenz der 119. American Psychological Association (APA)


 

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