Die Melodie der Proteine
Mehrere Studien zeigen, dass Menschen kleine Unterschiede in Lautsequenzen schneller und besser wahrnehmen als sichtbare Veränderungen in Videos. Genau diese hohe Empfindlichkeit des Hörsinns machten sie Forschende um Martin Gruebele von der University of Illinois in Urbana-Champaign zu nutze. Mit einer speziellen Sound-Software, entwickelt von der Komponistin und Software-Entwicklerin Carla Scaletti, ordneten sie jeder in einem Computer berechneten Bildung einer schwachen chemischen Bindung zwischen den Aminosäuren einem Laut mit jeweils einer anderen Tonhöhe zu. Sie fokussierten sich dabei auf Wasserstoffbrücken-Bindungen, die sich an vielen Stellen zwischen Wasserstoff- und Sauerstoffatomen in einem Molekülverbund aufbauen können. Diese Bindungen sind wesentlich für die komplexe, dreidimensionale Molekülstruktur verantwortlich. Biochemiker beschreiben diese Strukturbildung über einen vierstufigen Faltungsprozess von einer Primärstruktur bis zu einer Quartärstruktur.
Die Bildung dieser chemischen Bindungen geschieht ausgesprochen schnell zwischen dauern zwischen 70 Nanosekunden und zwei Mikrosekunden. Visualisiert in einem Video ergeben sich wirre, kaum zu verfolgende Sequenzen von Bildern. Doch in einer Abfolge von Tönen lässt sich diese Dynamik besser nachvollziehen und sich wiederholende Abläufe leichter aus der „Melodie der Proteine“ heraushören. So gelang es den Forschenden, schnelle und langsame Phasen bei der Bildung von Wasserstoffbrücken-Bindungen voneinander zu unterscheiden. Zudem erkannten sie, dass nicht nur Bindungen zwischen den Aminosäuren selbst, sondern auch zwischen Aminosäuren und den umgebenden Wassermolekülen eine wichtige Rolle bei der Strukturbildung der Proteine spielen.
Komplett verstehen und erklären lassen sich die Faltungsprozesse von Proteinen mit diesem Lausch-Ansatz noch nicht. Doch liefert diese Methode wichtige Hinweise, um beispielsweise fehlerhafte Faltungen von Proteinen, die beispielsweise Krankheiten begünstigen, besser erkennen zu können. In Zukunft ist es nicht ausgeschlossen, dass sowohl Videos als auch Tonfolgen zusammen die schnellen Prozesse der Proteinfaltung noch verständlicher machen. Bei der Erkennung von Mustern in dieser Dynamik könnte der Mensch zudem von Methoden der künstlichen Intelligenz unterstützt werden.