Der Spiegel im Auge des Rentiers: Farbänderung mit der Jahreszeit

Im Sommer ist der reflektierende Augenhintergrund golden, während er im Winter blau gefärbt ist
Rentiere passen das Innere ihrer Augen an die jahreszeitlichen Lichtverhältnisse an.
Rentiere passen das Innere ihrer Augen an die jahreszeitlichen Lichtverhältnisse an.
© Kia Hansen
London (Großbritannien) - Der arktische Lebensraum ist geprägt von Extremen - auch was das Licht betrifft. Während es im Sommer wochenlang nicht Nacht wird, steigt die Sonne in den Wintermonaten nicht über den Horizont, so dass es permanent dunkel bleibt. Bei Rentieren haben britische Froscher nun eine besondere Anpassung an diese Bedingungen entdeckt. Die Tiere stellen das Innere ihrer Augen auf diese völlig unterschiedlichen Lichtverhältnisse ein: Während ihr reflektierender Augenhintergrund – das sogenannte Tapetum lucidum – im Sommer golden ist, nimmt es im Winter eine tiefblaue Färbung ein. Das Blau ermöglicht vermutlich, das wenige Licht im Winter besonders gut auszunutzen, berichten die Biologen im Fachblatt „Proceedings of the Royal Society B: Biological Sciences”. Das Tapetum lucidum liegt hinter der Netzhaut. Die reflektierende Schicht verbessert das Sehen bei schlechten Lichtverhältnissen, wie zum Beispiel bei Katzen und anderen dämmerungs- und nachtaktiven Tieren. Sie vergrößert die Lichtausbeute, weil der Lichtanteil, der nicht von Lichtsinneszellen eingefangen wurde, von der spiegelnden Fläche reflektiert wird. So besteht erneut die Chance, dass dieses Licht auf einen Photorezeptor trifft.

„Dies ist die erste Beschreibung einer Strukturanpassung der Retina an jahreszeitliche Veränderungen des Umgebungslichtes“, schreiben Glen Jeffery vom University College London und Kollegen. „Die erhöhte Empfindlichkeit kommt auf Kosten verringerter Genauigkeit, könnte aber eine wichtige Anpassung bei Rentieren sein, damit sie sich bewegende Raubtiere im dunklen arktischen Winter erkennen.“ In einer Reihe unterschiedlicher Experimente hatten Jeffery und seine Kollegen die Augen junger Rentiere näher untersucht – sowohl am lebenden Tier als auch an isolierten Augen, die häufig von Schlachttieren stammten. Die Untersuchungen beziehungsweise die Probennahme fanden in jeweils zwei Wochen während der Dauerhelligkeit des Sommers und zwei Wochen während der dunklen Wintermonate statt. Unter anderem analysierten die Biologen, wie viel und in welchem Spektralbereich des Lichts das Tapetum lucidum das Licht reflektiert. Außerdem schauten sich die Forscher mit Hilfe elektronenmikroskopischer Aufnahmen den Abstand zwischen den Kollagenfasern der reflektierenden Schicht an und untersuchten die Netzhautfunktion mittels eines Elektroretinogramms (ERG).

Es fanden sich deutliche Unterschiede in der Färbung des Tapetum lucidums bei Tieren, die im Sommer und jenen, die im Winter getötet worden waren. Im Sommer hat die reflektierende Schicht einen Goldton, wie er bei den meisten Huftieren vorkommt. Im Winter aber nimmt sie einen tiefblauen Ton an. Der goldene Augenhintergrund im Sommer reflektiert das Licht ziemlich direkt, so dass es das Auge schnell wieder verlässt. Der blau reflektierende Hintergrund im Winter aber streut das Licht wesentlich stärker. Dadurch wird das Licht mehrfach im Auge hin- und hergeworfen und es bestehen gute Chancen, dass das Licht auf eine Sinneszelle trifft und von dieser absorbiert wird. Letztlich verlassen dann nur wenige Lichtreste das Auge ungenutzt. Eine blaue Färbung des Tapetum lucidum kommt bisherigen Erkenntnissen zufolge kaum vor und wenn überhaupt, ist es nicht einheitlich, sondern nur teilweise bläulich gefärbt – zum Beispiel bei Mungos.

Die Wellenlänge der Reflektion beruhte vermutlich auf dem Abstand der Kollagenfasern des Tapetum lucidum. Die elektronenmikroskopischen Aufnahmen zeigten, dass deren Abstände im Sommer deutlich weiter sind als im Winter: 43,1 Nanometer im Sommer im Vergleich zu 26 Nanometern im Winter. Diese im Winter verringerten Abstände führen dazu, dass kürzeren Wellenlängen vom Augenhintergrund reflektiert werden. Ursache dieser Kompression der Kollagenfasern wiederum könnte durch einen erhöhten Augeninnendruck sein, der seinerseits aufgrund der in der Dunkelheit ständig maximal geweiteten Pupille zustand kommt, vermuten die Forscher.

Zwar haben Jeffery und seine Kollegen Veränderungen des Rentierauges im Winter gefunden, die hochgradige Anpassungen darstellen. Sie betonen aber, einen tatsächlichen funktionalen Zusammenhang mit den bisherigen Untersuchungen nicht bewiesen zu haben. Die einfachste Erklärung sei allerdings trotzdem, dass es sich um einen Anpassungsmechanismus an die besonderen Lichtverhältnisse handelt, der bislang einzigartig bei Säugetieren ist. Ob ähnliche Strategien auch bei anderen arktischen Säugern vorkommen, schreiben die Biologen, bleibt noch zu erforschen.

Erst vor wenigen Jahren hatten Jeffery und Kollegen eine weitere Besonderheit der Rentieraugen herausgefunden. Sie hatten entdeckt, dass die Tiere Licht aus dem ultravioletten Bereich des Spektrums wahrnehmen. Die meisten Säugetiere können UV-Licht nicht sehen, da die Linse dieses sehr kurzwellige Licht herausfiltert. So bleiben besonders empfindliche Teile des Auges wie die Netzhaut vor möglichen Schäden durch die energiereiche Strahlung geschützt. Rentieren jedoch hilft die UV-Sicht, in den weiten Schneelandschaften ihres Lebensraumes überlebensnotwendige Details wie Futterquellen oder Räuber besonders leicht zu erkennen, berichteten die Forscher 2011 im "Journal of Experimental Biology".

In einer Reihe von Experimenten hatten die Biologen untersucht, welche Wellenlängen des Lichts Rentiere sehen können. Ihr Fazit: Die Sicht der Tiere reicht sogar in Bereiche zwischen 350 bis 320 Nanometern. Dieser Wellenlängenbereich kann für das menschliche Auge nur durch technische Hilfsmittel sichtbar gemacht werden – Menschen sind in der Lage, Licht mit Wellenlängen zwischen etwa 700 Nanometern und 400 Nanometern zu sehen. Dies entspricht einem intensiven Rot beziehungsweise Violett. Rentiere können ultraviolettes Licht nicht einfach nur sehen, sondern die mit der UV-Sicht wahrgenommenen Bilder machen auch tatsächlich Sinn für ihr Überleben. Denn in den harten und dunklen arktischen Wintern sind weite Flächen des Landes schneebedeckt und von dem wenigen Licht wird vor allem kurzwelliges im blauvioletten und ultravioletten Wellenlängenbereich vom weißen Schnee stark gestreut und zurückgeworfen. Damit erlangt Licht dieser Wellenlängen eine besondere Bedeutung.

„Als wir Kameras einsetzen, die UV-Licht aufzeichnen können, stellten wir fest, dass es da einige sehr wichtige Dinge gibt, die UV-Licht absorbieren und deshalb schwarz erscheinen im starken Kontrast zum Schnee“, so Jeffery damals. Dazu gehören Flechten, die eine der Hauptnahrungsquellen im Winter darstellen, Urin-Spuren, die Hinweise auf Räuber und Konkurrenten liefern, sowie Fell, was Räuber wie Wölfe ebenfalls zu auffälligen Objekten macht. Ihre UV-Sicht ermöglicht es den Rentieren damit, extrem kontrastreiche Bilder wahrzunehmen, die überlebenswichtige Details enthalten.

© Wissenschaft aktuell
Weitere Artikel zu diesem Thema:
Rentiere sehen UV-Licht
Zeitlose Rentiere


 

Home | Über uns | Kontakt | AGB | Impressum | Datenschutzerklärung
© Wissenschaft aktuell & Scientec Internet Applications + Media GmbH, Hamburg