Darmkeime regulieren Gene von Hirnzellen

Fehlende Darmflora verändert die Produktion von microRNAs in Hirnregionen von Mäusen und Ratten, was die Furchtreaktionen der Tiere verstärkt
Die Nukleinsäure RNA (links) ist ähnlich aufgebaut wie ein Einzelstrang der DNA (rechts).
Die Nukleinsäure RNA (links) ist ähnlich aufgebaut wie ein Einzelstrang der DNA (rechts).
© Sponk, Wikimedia, Creative-Commons-Lizenz (CC BY-SA 3.0), https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.de
Cork (Irland) - Keimfrei aufgezogene Mäuse entwickeln ein ängstlicheres Verhalten als normale Tiere. Wie das Fehlen der Darmflora die Funktion der Hirnregionen stört, die Furchtreaktionen steuern, war bisher nicht bekannt. Jetzt haben irische Biologen entdeckt, dass Darmkeime offenbar indirekt die Produktion von microRNAs in den Neuronen der Amygdala und des präfrontalen Cortex beeinflussen. Diese kleinen Nukleinsäuremoleküle, die meist nur aus wenig mehr als zwanzig Nukleotiden bestehen und in zahlreichen Varianten vorkommen, regulieren die Aktivität von Genen. Die nachträgliche bakterielle Darmbesiedlung zuvor keimfreier Mäuse normalisierte die Funktion eines Teils der microRNAs wieder, berichten die Forscher im Fachblatt „Microbiome“. Es gibt Hinweise darauf, dass psychiatrische und neurodegenerative Erkrankungen des Menschen auch auf einer Fehlfunktion von microRNAs im Gehirn beruhen könnten, die ihre Ursache in einer gestörten Darmflora haben.

„Wir sind erst im Frühstadium dieser Forschung. Aber es ist eine reizvolle Vorstellung, mit Hilfe von Darmbakterien microRNAs in bestimmten Hirnregionen gezielt zu beeinflussen“, sagt Gerard Clarke vom University College Cork. Denkbar wäre zum Beispiel der Einsatz von „Psychobiotika“ – Präparate mit ausgewählten Darmkeimen, die die Psyche positiv beeinflussen und bei Angststörungen oder Depressionen helfen könnten. Eine solche Behandlung wäre einfacher und unbedenklicher als Medikamente einzusetzen, die in bestimmte Hirnregionen eindringen und dort die microRNA-Produktion stimulieren oder hemmen.

Die Forscher stellten fest, dass sich keimfrei und normal aufgezogene Mäuse im Gehalt von 103 microRNAs in der Amygdala und von 31 microRNAs im präfrontalen Cortex unterschieden. Wenn der keimfreie Darm drei Wochen alter Mäuse im Verlauf einer normalen Tierhaltung wieder mit Bakterien besiedelt wurde, normalisierte sich auch die Produktion einiger microRNAs in den Hirnzellen. Umgekehrt bewirkte die vollständige Eliminierung der Darmflora durch mehrere Antibiotika bei Ratten Veränderungen im microRNA-Spiegel der beiden untersuchten Hirnregionen. Eine der microRNAs (miR-206-3p), deren Funktion durch die Darmflora beeinflusst wird, reguliert die Produktion des Wachstumsfaktors BDNF, der Wachstum und Entwicklung von Neuronen steuert. Fehlende Darmkeime verringerten die BDNF-Bildung bei Mäusen und Ratten. Auch bei einigen neurologischen Erkrankungen des Menschen sinkt der Spiegel dieses Botenstoffs.

Welche Bakterienarten auf welchem Wege die Produktion bestimmter microRNAs im Gehirn kontrollieren, ist noch nicht bekannt. Die Kommunikation zwischen Darmkeimen und Gehirn könnte entweder über den Vagusnerv erfolgen, der auch den Bauchraum mit dem Gehirn verbindet, oder über Stoffwechselprodukte wie kurzkettige Fettsäuren, die von den Bakterien freigesetzt werden.

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