Cyanobakterien: Nicht das Licht stellt die innere Uhr

Die photosynthetisch aktiven Wasserbakterien nutzen die Aktivität des Energiestoffwechsels als Zeitgeber ihrer Tagesrhythmik
Cyanobakterien der Gattung Synechococcus kommen in Süß- und Salzwasser vor.
Cyanobakterien der Gattung Synechococcus kommen in Süß- und Salzwasser vor.
© Masur / gemeinfrei, Wikimedia Commons
Chicago (USA) - Vom Einzeller bis zum Menschen sind die meisten Lebewesen dem regelmäßigen Wechsel von Tag und Nacht ausgesetzt. Es hat sich in der Evolution als sehr vorteilhaft erwiesen, dass ein Organismus sich mit Hilfe einer inneren Uhr im Voraus darauf einstellen kann, wann es hell und dunkel wird. Das erzeugt einen zeitlich genau angepassten 24-Stunden-Rhythmus von Ruhephase und Aktivität. Damit die circadiane Uhr auf die jeweilige „Ortszeit“ abgestimmt ist, reagiert sie bei Säugetieren und anderen Lebewesen auf Signale von Sensoren, die die Lichtintensität messen. Bei den früher fälschlich als Blaualgen bezeichneten Cyanobakterien gibt es eine solche direkte Verbindung zwischen Uhr und Lichtsensor aber nicht, berichten jetzt amerikanische Biologen. Stattdessen erfolgt die Synchronisation der inneren Uhr mit den Umweltbedingungen über die je nach Tageszeit verfügbare Stoffwechselenergie, berichten die Forscher im Fachblatt „Cell Reports”. Ihre Ergebnisse erzielten sie mit gentechnisch veränderten Bakterien, die ihre Energie nicht nur über Photosynthese, sondern auch durch Verwertung von Zucker im Dunkeln erzeugen konnten. Möglicherweise synchronisieren Bakterien der Darmflora tagesrhythmische Aktivitäten durch einen ähnlichen Mechanismus.

„Wir haben uns gefragt, wie die circadiane Uhr lernt, die Tageszeit zu erkennen“, sagt Michael Rust von der University of Chicago. „Bei Cyanobakterien scheint die Antwort ungewöhnlich einfach zu sein: Die Bestandteile der Uhr reagieren auf die Stoffwechselaktivität in der Zelle.“ Die nächtliche Dunkelheit ist für die Mikroben eine Hungerphase, nur am Tag steht Licht – die einzige Energiequelle – zur Verfügung und treibt den Stoffwechsel an. Doch wie dieser Wechsel mit dem Ticken der inneren Uhr verbunden ist, war bisher unbekannt. Ein direkter Zusammenhang zwischen Lichtabsorption und Funktion der Uhr wurde nicht gefunden. Die innere Uhr des Cyanobakteriums Synechococcus elongatus ist sehr einfach aufgebaut. Sie besteht aus nur drei Genen, die in einem 24-Stunden-Rhythmus ein- und ausgeschaltet werden. Dadurch steigen und sinken im selben Rhythmus die Konzentrationen der von ihnen codierten Proteine. Eines davon schaltet zahlreiche weitere Gene und damit Reaktionen des Stoffwechsels ein oder aus. Durch Markierung mit einem Fluoreszenzfarbstoff lässt sich der Tagesrhythmus der Zellen sichtbar machen, so dass Veränderungen durch äußere Signale im Experiment leicht erkennbar sind.

Um den Einfluss von Licht und Stoffwechsel getrennt voneinander testen zu können, bauten die Forscher ein Zuckertransport-Gen aus E. coli in das Erbgut von S. elongatus ein. Die Cyanobakterien waren nun in der Lage, im Dunkeln energiereiche Verbindungen aus Glukose zu erzeugen. „Erstaunlicherweise genügte die Einführung des Gens, um die Hunderte von Millionen Jahre alte Lebensweise dieser Bakterien völlig umzustellen“, sagt Rust. Normalerweise kann man die Uhr der Cyanobakterien im Labor nur durch künstliche Dunkelphasen verstellen. Bei den genetisch veränderten Mikroben gelang dies nun auch unabhängig von den Lichtverhältnissen. So konnten die Forscher den natürlichen Tagesrhythmus verschieben, indem sie die Zellen bei Dunkelheit in regelmäßigen Abständen mit Zucker versorgten. Entscheidend für das Einstellen der Uhr war der Spiegel an ATP, einer energiereichen Verbindung. Ob ein hoher Energiezustand der Zelle durch Photosynthese oder Zuckerverwertung hergestellt wurde, spielte keine Rolle. „Die Bakterien merkten, wann wir sie fütterten, und stellten ihre interne Zeit darauf ein“, erklärt Rust. Sie lernten gewissermaßen, wann sie Zucker erhalten, so wie sie normalerweise lernen, wann es Tag wird.

Auch Darmkeime des Menschen sind durch ihren Wirt tagesrhythmisch schwankenden Lebensbedingungen ausgesetzt. Es gibt Hinweise darauf, dass sich ihre Aktivität ebenfalls mit dem Tag-Nacht-Wechsel verändert, obwohl sie keine direkten Informationen über das Tageslicht empfangen. Möglicherweise dient auch ihnen der Stoffwechsel als Zeitgeber ihrer Uhr, deren Funktion für eine gesunde Darmflora wichtig sein könnte.

Der Mensch ist mit einem Tageslicht-Sensor ausgestattet, der den Körperrhythmus mit dem natürlichen Tag-Nacht-Wechsel in Einklang bringt. Dabei handelt es sich um spezielle Lichtrezeptoren in der Netzhaut der Augen. Die sogenannten retinalen Ganglienzellen messen die Intensität des Tageslichts und leiten diese Information an das Kontrollzentrum der inneren Uhr im Gehirn weiter. Diese Zellen enthalten die lichtempfindliche Substanz Melanopsin.

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