Crash im Genom: Krebs auf einen Schlag

Nicht nur eine allmählich zunehmende Schädigung durch Mutationen, sondern auch eine plötzliche umfangreiche Zerstückelung und fehlerhafte Reparatur von DNA-Strängen kann zum Krebswachstum führen
Hinxton (Großbritannien) - Krebs ist in der Regel das Ergebnis eines längeren Entwicklungsprozesses, in dem durch Anhäufung von Mutationen zunächst Krebsvorstufen und schließlich voll entwickelte Krebszellen entstehen. Bei unterschiedlichen Krebsarten gibt es jedoch Fälle, für die diese Erklärung nicht zutrifft, berichten britische Forscher. DNA-Analysen einiger Tumorproben zeigten massive Veränderungen des Erbguts, die nur durch die gleichzeitige Zerstörung im Bereich mehrerer Chromosomenabschnitte zu erklären sind. Durch fehlerhafte Reparatur zerstückelter DNA-Stränge konnten so auf einen Schlag unterschiedliche Arten von Krebsgenen entstehen, schreiben die Wissenschaftler im Fachblatt "Cell". Ionisierende Strahlung könnte ein Auslöser solcher Genomschäden sein.

"Es scheint so, als wären - ausgelöst durch ein einzelnes Ereignis - Chromosomen einer Zelle regelrecht in Hunderte von Fragmenten explodiert. In einigen Fällen haben dann DNA-Reparaturmechanismen versucht, die Chromosomen wieder zusammenzufügen, wobei es zu schweren Fehlern gekommen ist. Dadurch sind mehrere Mutationen entstanden, von denen einige das Krebswachstum bewirkten", erklärt Peter Campbell vom Wellcome Trust Sanger Institute. Meist lösen schwere DNA-Schäden das Selbstmordprogramm der Zelle, die Apoptose, aus, was die Krebsentwicklung verhindert. In seltenen Fällen jedoch überlebt die Zelle, obwohl ihre DNA-Reparatur fehlerhaft war. Die Genomanalyse eines Darmtumors ergab in einem einzelnen Chromosom 239 falsch zusammengefügte DNA-Abschnitte. In einem Knochentumor identifizierten die Forscher drei Krebsgene, die wahrscheinlich durch fehlerhafte Reparatur gleichzeitig entstanden waren.

Insgesamt stellten sie eine derartige Chromosomenzersplitterung bei 2-3 Prozent der untersuchten Primärtumoren und Zellkulturen von Lungen-, Darm- und Nierenkrebszellen sowie Leukämie-, Gliom- und Melanomzellen fest. Bei Knochenkrebs war sogar jede vierte Probe betroffen. Die Wissenschaftler vermuten, dass falsch rearrangierte DNA-Abschnitte dazu führen können, dass Tumor hemmende Gene zerstört oder andere Gene verschmolzen, inaktiviert oder überaktiviert werden. Einige dieser Veränderungen würden dann zusammenwirken und ein Krebswachstum auslösen. Die Forscher wollen nun prüfen, ob ionisierende Strahlung wie UV-Licht oder radioaktive Strahlung, die den Bruch von DNA-Doppelsträngen bewirken kann, als Ursache für solche Schäden in Frage kommt. Auch die altersbedingte Abnutzung der Telomere, der Chromosomenenden, könnte die Stabilität der Chromosomen bei der Zellteilung beeinträchtigen und fehlerhafte Anordnungen von DNA-Abschnitten begünstigen.

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Quelle: "Massive genomic rearrangement acquired in a single catastrophic event during cancer development", Philip J. Stephens et al.; Cell, Vol. 144, 27, DOI:10.1016/j.cell.2010.11.055


 

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