Blatt fressende Raupen locken ihre eigenen Feinde an

"Sehen kann die Pflanze ihre Angreifer nicht, aber diese könnten sich durch Mundsekrete verraten, die beim Fressen mit den Blättern in Berührung kommen", sagt Silke Allmann aus der von Ian Baldwin geleiteten Abteilung "Molekulare Ökologie" des Max-Planck-Instituts für chemische Ökologie in Jena. Die Forscher wussten, dass bei einer Verletzung von Blättern des Tabaks leicht flüchtige Substanzen, darunter der Aldehyd Hexenal freigesetzt werden. Hexenal kommt in zwei Molekülformen vor. Ist die Pflanze von Raupen des Tabakschwärmers (Manduca sexta) befallen, überwiegt das (E)-2-Hexenal gegenüber dem (Z)-3-Hexenal. In Freilandversuchen präparierten die Biologen Tabakblätter mit Eiern des Schmetterlings und verschiedenen Mischungen aus beiden Hexenalformen. Überwog die Z-Form, waren nach einem Tag noch 92 Prozent der Eier vorhanden, bei der E-Form nur noch 76 Prozent.
Weitere Beobachtungen ergaben, dass sich bei einem Raupenbefall das Verhältnis der beiden Molekülformen zugunsten der E-Form verschob, welches Raubwanzen der Gattung Geocoris anlockte. Die Forscher vermuten, dass der Speichel der Raupen ein Enzym enthält, das als Isomerase die Z-Form des Hexenals in die E-Form überführt. (E)-2-Hexenal wirkt als Lockstoff bereits innerhalb einer Stunde nach Fraßbeginn und dient der Pflanze somit als schnelle Verteidigungsstrategie, indem sie die Feinde ihrer Feinde zur Hilfe ruft. Aber warum hat die Evolution nicht längst dafür gesorgt, dass die Raupe sich nicht selber schadet? Das könnte mit der antimikrobiellen Wirkung des (E)-2-Hexenals zusammenhängen. Wahrscheinlich dient der Raupe dieselbe Substanz, die ihre Feinde anlockt, als Antibiotikum zum Schutz vor Infektionen. Wenn es gelänge, Pflanzen zu erzeugen, die auch ohne Raupenfraß das chemische SOS-Signal senden, könnten Insektizide eingespart werden.