Begattung aus sicherer Entfernung
Dieses als Eunuchen-Phänomen bekannte Verhalten der Spinnen habe sich wahrscheinlich im Lauf der Evolution als Antwort auf den sexuellen Kannibalismus der Weibchen entwickelt, vermuten Daiqin Li von der National University of Singapore und seine Kollegen von der Slowenischen Akademie der Wissenschaften in Ljubljana. Sie untersuchten das Paarungsverhalten der Radnetzspinne Nephilengys malabarensis, deren Weibchen etwa fünfmal so groß sind wie die wenige Millimeter großen Männchen. Als Begattungsorgan dient den männlichen Spinnen ein umgebildetes vorderes Gliedmaßenpaar, die sogenannten Pedipalpen. Einen Hohlraum an deren vorderem Ende füllen die Männchen zunächst mit Spermien und übertragen diese dann in die Geschlechtsöffnung eines Weibchens, die sich auf der Bauchseite des Hinterleibs befindet. Während dieser Aktion besteht allerdings immer die Gefahr, vom Weibchen gefressen zu werden. Dieses Risiko ist umso höher, je länger die Paarung dauert. Umgekehrt würden bei nur kurzzeitiger Kopulation nur wenige Spermien übertragen. Früher oder später bricht einer der beiden Partner den Vorgang ab, wobei das Begattungsorgan teilweise, meist aber vollständig vom Körper des Männchens abgetrennt wird.
Die Forscher beobachteten 25 Kopulationen, wobei das Männchen in 14 Fällen aufgefressen wurde. Zweidrittel der anfangs vorhandenen Spermien befanden sich unmittelbar nach der Trennung der Tiere noch in dem abgebrochenen Pedipalpen. Ihre Übertragung in den weiblichen Körper setzte sich aber weiter fort – auch in Abwesenheit des Männchens. Das Opfern des Begattungsorgans hat also nicht nur den Zweck, die weibliche Geschlechtsöffnung zu verschließen und so die Übertragung von Spermien eines Rivalen zu erschweren. Es erhöht auch die Zahl der übertragenen Spermien und damit die Chance auf Vaterschaft. Diesem Ziel dient auch eine weitere bereits bekannte Auswirkung der Kastration: Sie verstärkt die Aggressivität des Männchens, das dadurch erfolgreicher Rivalen von “seinem” Weibchen fernhalten kann. Ein Männchen kann mit dieser Strategie in seinem Leben höchstens zwei Weibchen beglücken, da es über zwei Pedipalpen verfügt. Danach lebt es als Eunuch weiter – falls es auch dem zweiten Weibchen entwischen konnte.