BUCHTIPP: Schmerz Los Werden von Prof. Dr. Sven Gottschling mit Lars Amend

Warum so viele Menschen unnötig leiden und was wirklich hilft
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„Jeder vierte Deutsche ist heute Morgen mit Schmerzen aufgestanden (wenn er es denn geschafft hat!)“, sagt der Schmerzmediziner Prof. Dr. Sven Gottschling. Schmerzempfindung ist zwar eine lebenswichtige Sinneswahrnehmung, die uns warnt und schützt. Wird aber der Schmerz zu stark oder hält er dauerhaft an, brauchen wir ärztliche Hilfe. Und da liegt das Problem, das Gottschling in seinem Buch „Schmerz Los Werden“ immer wieder anspricht: Es gibt nicht genügend Schmerztherapeuten. Das führt dazu, dass viele Menschen unnötig leiden müssen, weil sie nicht optimal behandelt werden. „Die meisten Ärzte in Deutschland sind heute in punkto Schmerztherapie noch auf Drittweltniveau von vor 30 Jahren!“ Es kann jeden treffen – und jedem könnte geholfen werden, versichert der Autor. Und er stellt unmissverständlich fest: „Es gibt ein Recht auf eine angemessene Schmerzbehandlung.“ Das Themenspektrum reicht von eher lästigen Kopf- oder Rückenschmerzen, über Gelenkschmerzen und chronische Schmerzen bis zu Tumorschmerzen oder starken Schmerzen nach einer Operation. In dem jetzt erschienenen Buch findet jeder mindestens ein Schmerzthema, das ihn ganz persönlich interessiert – oder höchstwahrscheinlich noch interessieren wird.

Einerseits gehen viele Menschen leichtsinnig mit frei verkäuflichen Schmerzmitteln um. Sie nehmen starke Nebenwirkungen in Kauf oder verursachen solche Schmerzen sogar durch einen übermäßigen Gebrauch der Medikamente. Gegen leichte Formen von Spannungskopfschmerz zum Beispiel empfiehlt Gottschling vorbeugende Maßnahmen und zählt eine Reihe nicht medikamentöser Behandlungsformen auf. Das beliebte Paracetamol sei als Schmerzmittel praktisch wirkungslos, hätte dafür aber „ zum Teil recht hässliche und gefährliche Nebenwirkungen“. Ibuprofen und Diclofenac sollten, um Magen und Nieren zu schonen, nicht öfter als fünf Tage im Monat eingesetzt werden. Dagegen sei das rezeptpflichtige Metamizol (das zum Beispiel in Novalgin und Novaminsulfon enthalten ist) das sicherste und potenteste der Nicht-Opioid-Präparate. Bei starken und chronischen Schmerzen plädiert Gottschling vehement für den schnellen Einsatz morphinartiger Wirkstoffe, der sogenannten Opioide. Völlig unverständlich und nicht akzeptabel sei die Scheu von Ärzten und Patienten gegenüber diesen Mitteln, die richtig dosiert auch bei Dauerbehandlung sehr gut verträglich und hochwirksam sind. Auch Cannabispräparate setzt Gottschling seit 17 Jahren bei Erwachsenen und Kindern erfolgreich ein.

Weitere Kapitel informieren darüber, wie Schmerz überhaupt entsteht und wie sich Männer und Frauen in ihrer Schmerzempfindlichkeit unterscheiden. Man erfährt, dass die Schmerzwahrnehmung von Säuglingen lange falsch eingeschätzt wurde. Betroffen machen die Berichte über Schmerzen bei Kindern im Allgemeinen und bei der rituellen Beschneidung ohne Betäubung im Besonderen. Immer wieder eingestreute Fallbeispiele verdeutlichen die Problematik und Bedeutung der Therapie unterschiedlicher Schmerzformen. Auch psychische Aspekte kommen zur Sprache, wie etwa die erstaunlichen Placeboeffekte, aber auch der große Einfluss der menschlichen Beziehung zwischen Arzt und Patient. Die wichtigste Grundannahme im Umgang mit Schmerzpatienten lautet: „Wenn ein Patient über Schmerzen klagt, hat er immer recht.“ Denn Schmerz ist nicht objektiv messbar und es gibt Schmerzen, für die man einfach keine Ursache findet.

Gottschling schreibt, er wolle mit seinem Buch „Ängste nehmen, informieren und Mut machen“. Das ist ihm und seinem Co-Autor Lars Amend gelungen. Ihr Text beschränkt sich auf das Wesentliche, kommt ohne Fachchinesisch aus, bleibt leicht lesbar in einem – trotz des ernsten Themas – teilweise sogar unterhaltend lockeren Stil. Lesenswert und hilfreich – für jetzt oder irgendwann.

Prof. Dr. Sven Gottschling mit Lars Amend:
Schmerz Los Werden - Warum so viele Menschen unnötig leiden und was wirklich hilft
FISCHER Taschenbuch, 272 Seiten, 16,99 Euro, ISBN 978-3-596-29922-5

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