Ausfall von Hirnzellen könnte plötzlichen Kindstod verursachen

Tierversuch zeigt: Bei Blockade Serotonin-bildender Neuronen versagt die Kontrolle der Atmung
Serotonin-produzierende Neuronen (nach Fluoreszenzfärbung)
Serotonin-produzierende Neuronen (nach Fluoreszenzfärbung)
© Rachael Brust and Susan Dymecki
Boston (USA) - Bestimmte Nervenzellen im Hirnstamm kontrollieren lebenswichtige Körperfunktionen wie die Regulation von Atmung und Körpertemperatur. Mit einer neuartigen genetischen Technik haben jetzt US-amerikanische Forscher gezeigt, dass Neuronen, die den Botenstoff Serotonin produzieren, dafür verantwortlich sind. Es gelang ihnen, Mäuse zu erzeugen, bei denen speziell solche Hirnzellen über einen eingebauten Genschalter vorübergehend inaktiviert werden konnten. Diese Tiere reagierten nicht mehr normal, wenn die Kohlendioxidkonzentration in der Atemluft anstieg. Normalerweise erhöht sich dann automatisch die Atemrate. Diese gestörte Funktion der Serotonin-Neuronen könnte eine der Ursachen des plötzlichen Kindstods sein, berichten die Wissenschaftler im Fachjournal "Science".

"Indem wir die Serotonin-bildenden Zellen selektiv abschalten, erhalten wir konkrete Informationen darüber, welche Körperfunktionen sie kontrollieren", sagt Susan Dymecki von der Harvard Medical School in Boston. Ihr Forscherteam schleuste ein Gen in das Erbgut von Mäusen ein, das bewirkt, dass nur Serotonin-produzierende Hirnzellen ein bestimmtes Rezeptorprotein an der Zelloberfläche bilden. Die speziell zu diesem Zweck hergestellte chemische Substanz Clozapin-N-Oxid (CNO) lagert sich nach Injektion ins Blut an die Rezeptoren an und verhindert dadurch, dass die Hirnzellen Signale weiterleiten. Alle übrigen Zellen, die kein Serotonin bilden, verfügen nicht über den Rezeptor und werden deshalb auch nicht durch CNO abgeschaltet.

Bei normalen Mäusen - wie auch beim Menschen - beschleunigt sich der Atem bei erhöhtem Kohlendioxidgehalt der Luft. Sonst bestünde die Gefahr, dass das Gas im Körper bedrohlich hohe Konzentrationen erreicht und Bewusstlosigkeit und Tod herbeiführt. Mäuse, deren Serotonin-Hirnzellen durch den künstlichen Genschalter inaktiviert wurden, steigerten ihre Atemrate nur noch halb so stark, wenn der Kohlendioxidwert der Luft auf 5 Prozent anstieg. Gleichzeitig sank ihre Körpertemperatur innerhalb von Minuten nach der CNO-Injektion von 37 Grad auf die Umgebungstemperatur von 23 Grad ab und erreichte erst nach Stunden wieder den Ausgangswert.

"Dieses neue Tiermodell könnte helfen, die biologischen Prozesse zu verstehen, die zum plötzlichen Kindstod führen. Das ist die Voraussetzung dafür, Testverfahren und Behandlungen zu entwickeln, um diese Todesfälle zu verhindern", kommentiert Marian Willinger vom National Institute of Child Health and Human Development. Beim plötzlichen Kindstod stirbt das Baby - meist während der Schlafenszeit - im ersten Lebensjahr aus ungeklärten Gründen. Gehirnautopsien einiger verstorbener Kinder ergaben Hinweise auf eine gestörte Funktion der Serotonin-bildenden Neuronen. Es wäre denkbar, dass Babys in Bauchlage mit höherer Wahrscheinlichkeit die Kohlendioxid-reiche ausgeatmete Luft erneut einatmen. Wenn sie darauf nicht mit verstärkter Atmung reagieren, könnte die Kohlendioxidkonzentration im Blut so hohe Werte erreichen, dass es zum Atemstillstand kommt. Allerdings werden auch andere Ursachen des plötzlichen Kindstods diskutiert.

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Quelle: "Impaired Respiratory and Body Temperature Control Upon Acute Serotonergic Neuron Inhibition," Russell S. Ray et al.; Science, Vol. 333, p. 637


 

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